Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Titel: Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dfg
Vom Netzwerk:
Kuriosität. Wer aber einen Stern entdeckte, ein gemachter Mann. Ja nun, sagte der Herzog, da sehe man es. Jetzt habe er es doch geschafft.
Gauß, der nicht wußte, was er darauf antworten sollte, verbeugte sich stumm.
Und sonst, fragte der Herzog nach der üblichen Nachdenkpause. Persönlich? Er habe gehört, man wolle heiraten?
Doch doch, sagte Gauß, ja.
Der Audienzraum hatte sich verändert. Die Deckenspiegel, offenbar aus der Mode gekommen, hatte man durch goldenes Blattwerk ersetzt, und es brannten weniger Kerzen. Auch der Herzog sah anders aus: Er war älter geworden. Ein Augenlid hing schlaff herab, die Wangen waren wulstig, sein schwerer Körper schien schmerzhaft fest auf seine Knie zu drücken.
Eine Gerberstochter, habe er gehört?
Stimmt, sagte Gauß. Lächelnd fügte er hinzu: Eure Hoheit. Was für eine Anrede! Was für ein Ort. Er mußte sich zusammennehmen, damit er nicht respektlos wirkte. Dabei mochte er diesen Herzog. Er war kein übler Mann, er bemühte sich, die Dinge richtig zu machen, und im Vergleich zu den meisten war er nicht einmal dumm.
Eine Familie, sagte der Herzog, müsse ernährt werden.
Das sei nicht zu leugnen, sagte Gauß. Deshalb habe er sich ja der Ceres gewidmet.
Der Herzog sah ihn mit gerunzelter Stirn an.
Gauß seufzte. Ceres, sagte er betont langsam, habe man den Planetoiden getauft, den Piazzi zuerst gesichtet und dessen Umlaufbahn er, Gauß, bestimmt habe. Er habe sich dem Problem überhaupt nur seiner Heiratspläne wegen gewidmet. Er habe gewußt, daß er jetzt etwas Praktisches leisten müsse, das auch Leute begreifen könnten, die weniger ... Er zögerte. Auch Leute begreifen könnten, die sich für Mathematik nicht interessierten.
Der Herzog nickte. Gauß erinnette sich, daß er ihn nicht direkt ansehen sollte, und schlug die Augen nieder. Er fragte sich, wann endlich das Angebot kommen würde. Immer das langwierige Hin und Her, immer solchee Umschweife. All die ans Gerede verlorene Zeit!
In diesem Sinn habe er eine Idee, sagte der Herzog.
Gauß zog die Augenbrauen weit hinauf, um Überraschung zu mimen. Er wußte, daß die Idee von Zimmermann war, der stundenlang auf den Herzog eingeredet hatte.
Vielleicht sei ihm aufgefallen, daß Braunschweig noch keine Sternwarte habe.
Beizeiten, sagte Gauß.
Was?
Es sei ihm aufgefallen.
Nun frage er sich, ob die Stadt nicht eine bekommen müsse. Und Doktor Gauß, trotz seiner Jugend, solle ihr erster Direktor sein. Der Herzog stemmte die Hände in die Seiten. Sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Lächeln. Das überrasche ihn, nicht wahr?
Er wolle einen Professorentitel dazu, sagte Gauß.
Der Herzog schwieg.
Einen Professorentitel, wiederholte Gauß, jede Silbe betonend. Eine Anstellung bei der Universität Helmstedt. Doppelte monatliche Bezüge.
Der Herzog trat vor und wieder zurück, machte ein brummendes Geräusch, blickte an die goldblattverzier— te Decke. Gauß nutzte die Zeit, um einige Primzahlen abzuzählen. Er hatte schon viele tausend davon. Er war ziemlich sicher, daß man nie eine Formel finden würde, sie zu ermitteln. Aber wenn man viele hunderttausend abzählte, konnte man die Wahrscheinlichkeit ihres Auftauchens asymptotisch bestimmen. Für einen Moment war er so konzentriert, daß er zusammenzuckte, als der Herzog sagte, man feilsche nicht mit seinem Landesvater.
Das liege ihm auch fern, sagte Gauß. Hingegen halte er es für notwendig mitzuteilen, daß ihm ein Angebot aus Berlin gemacht worden sei sowie von der Akademie in Sankt Petersburg. Rußland habe ihn immer interessiert. Schon oft habe er sich vorgenommen, die russische Sprache zu lernen.
Petersburg, sagte der Herzog, sei weit weg. Auch Berlin sei nicht in der Nähe. Wenn man es recht bedenke, sei der allernächste Platz dieser hier. Jeder andere sei anderswo. Selbst Göttingen. Er sei kein Wissenschaftler, er bitte, ihn zu korrigieren, falls er sich irre.
Doch, sagte Gauß mit auf den Boden gehefteten Augen. Das sei schon richtig.
Und wen nicht die Heimatliebe halte, der könne wenigstens berücksichtigen, daß das Reisen anstrengend sei. Anderswo müsse man sich erst einrichten, man habe Scherereien, das Umziehen gehe ins Geld und sei eine Höllenarbeit. Womöglich habe man auch eine alte Mutter daheim.
Gauß spürte, wie er rot wurde. Das geschah immer, wenn jemand seine Mutter erwähnte; nicht aus Scham, sondern weil er sie so liebte. Dennoch, er mußte sich räuspern und wiederholte: Dennoch, man könne nicht immer, wie man wolle. Wer Familie habe,

Weitere Kostenlose Bücher