Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Titel: Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dfg
Vom Netzwerk:
Julio.
Gar nicht zu reden von denen! Mario zeigte auf die Leichen. Niemand würde sie zu sehen kriegen!
Humboldt nickte. Manchmal müsse man zurückstehen können.
Die Mission Esmeralda bestand aus sechs Häusern zwischen riesigen Bananenstauden. Es gab nicht einmal einen Missionar, nur ein alter spanischer Soldat stand fünfzehn Familien von Indianern vor. Humboldt engagierte einige Männer, um die Termiten aus dem Holz des Bootes zu schaben.
Die Entscheidung, nicht weiterzufahren, sei die richtige, sagte der Soldat. In der Wildnis hinter der Mission töteten die Menschen ohne Hemmungen. Sie hätten mehrere Köpfe, seien unsterblich und unterhielten sich in Katzensprachen.
Humboldt seufzte bekümmert; es ärgerte ihn, daß nun ein anderer die Amazonasquellen finden würde. Um sich abzulenken, studierte er die Bilder von Sonnen, Monden und kompliziert gerollten Schlangen, die fast hundert Meter über dem Fluß in den Fels geritzt waren.
Früher müsse das Wasser höher gestanden haben, sagte der Soldat.
So hoch nicht, sagte Humboldt. Offenbar seien die Felsen niedriger gewesen. Er habe einen Lehrer in Deutschland, dem er das kaum mitzuteilen wage.
Oder fliegende Menschen, sagte der Soldat.
Humboldt lächelte.
Viele Wesen flögen, sagte der Soldat, und keiner finde etwas dabei. Hingegen habe noch niemand gesehen, wie ein Berg sich aufrichte.
Menschen flögen nicht, sagte Humboldt. Selbst wenn er es sähe, würde er es nicht glauben.
Und das sei dann Wissenschaft?
Ja, sagte Humboldt, genau das sei Wissenschaft.
Als das Boot wiederhergestellt und Bonplands Fieber gesunken war, traten sie den Rückweg an. Zum Abschied bat der Soldat Humboldt, in der Hauptstadt ein gutes Wort für ihn einzulegen, damit man ihn anderswohin versetze. Es sei ja nicht auszuhalten. Erst neulich habe er eine Spinne in seinem Essen gefunden, er hielt beide Handflächen nebeneinander, so groß! Zwölf Jahre, das sei einem Menschen nicht zuzumuten. Hoffnungsvoll schenkte er Humboldt zwei Papageien und winkte ihnen lange hinterher.
Mario hatte recht gehabt: Stromabwärts ging es schneller, und die Insekten waren in der Flußmitte nicht so aggressiv. Nach kurzer Zeit erreichten sie die Jesuitenmission, wo Pater Zea sie mit Verwunderung begrüßte.
Er habe nicht erwartet, sie so bald wiederzusehen. Bemerkenswerte Robustheit! Wie seien sie mit den Kannibalen zurechtgekommen?
Er habe keine getroffen, sagte Humboldt.
Komisch, sagte Pater Zea. Praktisch alle Stämme dort unten seien Menschenfresser.
Könne er nicht bestätigen, sagte Humboldt und runzelte die Stirn.
Seine Missionsbewohner hätten seit ihrer Abfahrt keine Ruhe mehr gefunden, sagte Pater Zea. Es habe sie doch sehr aufgewühlt, daß man ihre Vorfahren aus den Gräbern geholt habe. Vielleicht sei es besser, sie wechselten gleich in ihr altes Boot und reisten weiter.
Es sehe aus, als stehe ein Unwetter bevor, wandte Humboldt ein.
Das dürfe man nicht abwarten, sagte Pater Zea. Die Lage sei ernst, und er könne für nichts garantieren.
Humboldt überlegte einen Moment. Der Obrigkeit, sagte er dann, müsse man Folge leisten.
Am Nachmittag darauf ballten sich Wolken zusammen, Donner rollte fern über die Ebene, und plötzlich waren sie im stärksten Gewitter, das sie je erlebt hatten. Humboldt ließ die Segel streichen und Kisten, Leichen und Tierkäfige auf einer Felseninsel abladen.
Das habe man nun davon, sagte Julio.
Regen habe noch keinem geschadet, sagte Mario.
Regen schade jedem, sagte Carlos. Er könne einen umbringen. Er habe schon manchen umgebracht.
Sie würden nie mehr heimkommen, sagte Julio.
Und wenn schon, sagte Mario. Daheim habe es ihm nie gefallen.
Daheim, sagte Carlos, sei der Tod.
Humboldt wies sie an, das Boot drüben am Ufer zu vertäuen. Sie legten ab, in diesem Moment ließ eine Flutwelle den Fluß anschwellen und riß das Boot mit. Bonpland und Humboldt sahen noch, wie eines der Ruder davonflog, dann nahm das schäumende Wasser ihnen die Sicht. Sekunden später blitzte das Boot noch einmal weit in der Ferne auf, dann war es mit allen vier Ruderern dahin.
Und jetzt, fragte Humboldt.
Da sie nun einmal hier seien, sagte Bonpland, könnten sie doch die Felsen untersuchen.
Eine Höhle führte unter einen der Katarakte. Über ihren Köpfen donnerte das Wasser, durch Löcher in der Decke stürzte es in breiten Säulen herab, zwischen denen man trocken stehen konnte. Mit heiserer Stimme schlug Bonpland vor, die Temperatur zu messen.
Humboldt wirkte erschöpft. Er könne es nicht

Weitere Kostenlose Bücher