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Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Titel: Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dfg
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Leute beleidige, wenn er nicht aufesse?
Der Missionar schüttelte mit vollem Mund den Kopf. Das interessiere keinen!
In der Nacht hielt der Lärm der Tierstimmen sie wach. Die eingesperrten Affen hämmerten gegen die Gitter und wollten nicht aufhören zu schreien. Humboldt schrieb den Anfang einer Betrachtung über die Nachtlaute des Waldes und das Tierdasein, welches man als fortgesetzten Kampf, mithin als das Gegenteil des Paradieses verstehen müsse.
Er vermute, sagte Bonpland, daß der Missionar gelogen habe.
Humboldt sah auf.
Der Mann lebe schon lange hier, sagte Bonpland. Der Urwald habe große Kraft. Es sei ihm wohl peinlich gewesen, darum seine Beteuerung. Die Leute hier äßen Menschenfleisch, das habe Pater Zea gesagt, und jeder wisse es. Was könne ein Missionar allein dagegen tun?
Unsinn, sagte Humboldt.
Doch, sagte Julio. Das klinge vernünftig.
Humboldt schwieg einen Moment. Er bitte um Verzeihung. Sie seien alle schon arg mitgenommen. Er habe viel Verständnis. Aber wenn noch einmal jemand die Unterstellung äußere, daß der Patensohn des Herzogs von Braunschweig Menschenfleisch gegessen habe, werde er zur Waffe greifen.
Bonpland lachte.
Er meine es ernst, sagte Humboldt.
Doch nicht wirklich, sagte Bonpland.
Allerdings.
Alle schwiegen beklommen. Bonpland holte Luft, sagte jedoch nichts. Einer nach dem anderen drehten sie sich zum Feuer und stellten sich schlafend.
Von nun an wurde Bonplands Fieber schlimmer. Immer öfter stand er in den Nächten auf und sank nach einigen Schritten kichernd in sich zusammen. Einmal war Humboldt, als beuge sich jemand über ihn. Schemenhaft erkannte er Bonplands Gesicht, die Zähne gefletscht, in der Hand eine Machete. Hastig überlegte er. Man träumte hier Sonderbares, das wußte er nur zu gut. Er brauchte Bonpland. Er mußte ihm vertrauen. Es war also ein Traum. Er schloß die Augen und zwang sich, bewegungslos liegen zu bleiben, bis er das Geräusch von Schritten hörte. Als er das nächste Mal blinzelte, lag Bonpland mit geschlossenen Augen neben ihm.
Tagsüber flossen die Stunden ineinander; die Sonne hing sehr tief und feurig über dem Fluß, es schmerzte, sie anzusehen, die Moskitos griffen von allen Seiten an, selbst die Ruderer waren zu erschöpft zum Reden. Eine Zeitlang folgte ihnen eine metallene Scheibe, flog vor und dann wieder hinter ihnen, glitt lautlos durch den Himmel, verschwand, tauchte wieder auf, kam für Minuten so nahe, daß Humboldt mit dem Fernrohr die gekrümmte Spiegelung des Flusses, ihres Bootes und seiner selbst auf ihrer gleißenden Oberfläche wahrnehmen konnte. Dann raste sie davon und kam nie wieder.
Bei klarem Wetter erreichten sie das Ende des Kanals. Im Norden erhoben sich granitweiße Berge, auf der anderen Seite erstreckten sich grasige Ebenen. Humboldt fixierte die untergehende Sonne mit dem Sextanten und maß den Winkel zwischen der Jupiterbahn und jener des vorbeiwandernden Mondes.
Jetzt erst, sagte er, existiere der Kanal wirklich.
Stromabwärts, sagte Mario, werde es schneller vorangehen. Man müsse die Strudel nicht mehr fürchten und könne sich in der Mitte halten. So entkomme man den Moskitos.
Das bezweifle er, sagte Bonpland. Er glaube nicht mehr an einen Ort ohne sie. Selbst in seine Erinnerungen seien sie geraten. Denke er an La Rochelle, so finde er die Stadt voller Insekten.
Daß der Kanal jetzt auf den Karten verzeichnet sei, erklärte Humboldt, werde die Wohlfahrt des gesamten Erdteils befördern. Man könne nun Güter quer über den Kontinent bringen, neue Handelszentren würden entstehen, ungeahnte Unternehmungen seien möglich.
Bonpland bekam einen Hustenanfall. Tränen liefen ihm über das Gesicht, er spuckte Blut. Hier sei nichts, keuchte er. Es sei heißer als in der Hölle, es gebe nur Gestank, Moskitos und Schlangen. Hier werde nie etwas sein, und dieser dreckige Kanal werde nichts daran ändern. Könnten sie jetzt endlich zurück?
Humboldt starrte ihn ein paar Sekunden an. Das habe er noch nicht entschieden. Die Mission Esmeralda sei die letzte christliche Siedlung vor der Wildnis. Von dort aus komme man durch unerforschtes Gebiet in wenigen Wochen zum Amazonas. Dessen Quellen habe noch keiner gefunden.
Mario bekreuzigte sich.
Andererseits, sagte Humboldt nachdenklich, sei es vielleicht unklug. Die Sache sei nicht ungefährlich. Wenn er nun unterginge, verschwänden mit ihm alle Funde und Ergebnisse. Niemand würde davon erfahren.
Das dürfe man nicht riskieren, sagte Bonpland.
Tollkühn wäre es, sagte

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