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Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Titel: Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jojox
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fühlte mich sicher und geborgen. Als Carl Miguel mich zum Haupttor begleitete, machte er mir klar, dass mir der wahre Überlebenstest da draußen erst noch bevorstehe. »Pelz«, sagte er, als er mir die Hand gab,
    »ich hoffe, dass ich dich nie mehr wieder sehe.«
    Auch ich schüttelte Carl die Hand, ehe ich Mrs. Catanze anstrahlte, die schockiert zu sein schien, als sie meine Hosenbeine anschaute. Ich war aus dieser Hose deutlich herausgewachsen. »Na?«, fragte sie.
    »Wie geht's meiner Schildkröte?«, fragte ich.

    200

    »In diesem Augenblick, würde ich sagen, ist sie wohl schon im Suppentopf.«
    »Mom! «, jammerte ich, obwohl ich wusste, dass Lilian mich nur auf den Arm nahm.
    »Auf geht's«, sagte ich, »nach Hause!«
    Lilians Gesicht strahlte wie ein Christbaum, als sie merkte, dass ich gerade zum ersten Mal »nach Hause«
    gesagt hatte. Ich hatte ihr Haus mein Zuhause genannt.
    Sie ergriff meine offene Hand. »Ja, nach Hause!«

    201

8. KAPITEL
Entfremdet

    202

    Nach meiner Entlassung aus dem Jugendgefängnis und meiner Rückkehr zu den Catanzes war es nie mehr wie zuvor. Die anderen Pflegekinder schienen mich misstrauisch zu beäugen. Wann immer ich in ein Zimmer kam, hörten sie plötzlich auf zu reden und lächelten mich gekünstelt an. Und wann immer ich versuchte, mich an einer Unterhaltung zu beteiligen, sah ich mich plötzlich allein allen gegenüber stehen, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Nach einem Schweigen, das fast eine Ewigkeit dauerte, verließ ich dann das Wohnzimmer und spürte dabei ihre Blicke in meinem Rücken. Selbst Big Larry, den ich einst als meinen >großen Bruder< betrachtet hatte, wollte, ehe er endgültig auszog, nichts mehr von mir wissen.
    Nachdem mir alle einige Tage die kalte Schulter gezeigt hatten, hielt ich mich die meiste Zeit allein in meinem Zimmer auf, wo ich nervös herumhantierte. Es war mir 203

    sogar egal, dass mein Murray-Rad langsam zu rosten begann.
    An einem Freitagnachmittag im Juli 1974 kam Gordon Hutchenson vorbei. Als er die Treppe heraufkam und auf mein Zimmer zusteuerte, spürte ich, wie aufgeregt ich war. Ich konnte es gar nicht erwarten, mal wieder richtig mit jemandem reden zu können. Doch sein grimmiger
    Blick verriet mir, dass irgendetwas partout nicht in Ordnung war. »Was ist los?«, fragte ich leise.
    Gordon legte eine Hand auf meine Schulter. »Du musst deine Sachen packen«, sagte er mit Bedauern in der Stimme.
    Ich schüttelte seine Hand ab. Visionen von Hillcrest stiegen in mir auf. »Warum denn?«, rief ich. »Was hab'
    ich denn getan?«
    Gordon erläuterte sanft, dass ich durchaus nicht in Schwierigkeiten sei. Er wisse aber auch, wie sehr ich bei den Catanzes zu kämpfen hätte, seit ich dorthin zurückgekehrt sei. Er habe auch schon versucht, mich in einer anderen Familie mit weniger Pflegekindern unterzubringen. »Außerdem«, gestand er, »bin ich in einer Zwickmühle. Nächsten Montag wird ein älteres Kind im Hill entlassen und dem ist ... nun ja, dem ist diese Pflegefamilie hier zugeteilt worden. Also komm jetzt bitte und pack deine Sachen.«
    Ich wollte heulen, aber stattdessen lief ich in mein Zimmer. Ich hatte Herzrasen, weil ich furchtbar aufgeregt war und zugleich nicht wusste, was mit mir als Nächstes geschehen würde. Blitzschnell riss ich alle Türen und Schubladen auf, riss meine Sachen von den Bügeln und Haken und stopfte alles, so gut ich konnte, in eine große braune Papiertüte. Dann nahm ich mir noch einen Augenblick Zeit, um ein letztes Mal jenes 204

    Zimmer anzuschauen, in dem ich etwas mehr als ein Jahr lang geschlafen, geweint, gespielt und so viel nachgedacht hatte. Selbst wenn ich das Gefühl gehabt hatte, dass die Welt um mich herum in Stücke zerfiel -
    in diesem, meinem Zimmer hatte ich mich stets sicher gefühlt. Als ich leise die Tür hinter mir schloss, machte ich die Augen zu und schrie mich innerlich an, weil ich schon wieder so dumm gewesen war. Denn die beiden wichtigsten Regeln für Pflegekinder, die ich schon bei Tante Mary gelernt hatte, lauten: Binde dich niemals zu fest an irgendjemanden und sieh keine Wohnung als selbstverständlich an. Aber ich war so dumm gewesen, beide Regeln zu missachten. Ich war so naiv gewesen, mich in der Sicherheit zu wiegen, dass ich für den Rest meines Lebens bei Rudy und Lilian würde leben können. Ich schloss die Augen und unterdrückte meine Tränen.
    Nachdem Gordon bei einer anderen Pflegefamilie angerufen hatte, musste er Lilian und mich mühsam

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