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Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Titel: Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jojox
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endlich zum Hill fahren, schnipste er plötzlich mit den Fingern, schnappte sich sein Jackett, rannte aus der Haustür und forderte mich auf, ihm zum Auto zu folgen. Im Chevy Nova lächelte er mich dann verschmitzt an. »Darauf hätte ich ja auch schon eher kommen können! Denn einige dieser Eltern können einfach nicht mehr nein sagen, wenn sie erst mal einen Blick auf euch Kinder geworfen haben. Ich weiß, das ist ein starkes Stück, aber in verzweifelter Lage muss man sich eben was einfallen lassen.«
    Ich kniff die Augen zusammen, als ich zu verstehen versuchte, was Gordons Worte bedeuteten. Aber noch ehe ich etwas fragen konnte, schoss mein Oberkörper schon nach vorn, weil Gordon das Auto ruckartig zum Stehen gebracht und den Parkgang eingelegt hatte.
    »Hier«, verkündete er stolz. »Wir sind am Ziel. Setz dein schönstes Gesicht auf. « Gordon zerbarst fast vor Stolz, als er mit den Knöcheln seiner Hand an die Verandatür klopfte - Sekundenbruchteile, bevor er hineinmarschierte.
    Ich kam mir wie ein Einbrecher vor, als ich so unauf-gefordert auf Zehenspitzen in anderer Leute Haus ging.
    Aus der nahe gelegenen Küche tauchten zwei Köpfe auf. »Bleib ganz cool und setz dich.« Gordon zeigte auf ein Sofa und zwinkerte mir zu. Dann machte er auf den Fersen kehrt und öffnete seine Arme weit. »Harold!
    Alice! Schön, euch mal wieder zu sehen! Wie geht's euch?« Er schlenderte in die Küche.

    208

    Kopfschüttelnd amüsierte ich mich im Stillen über Gordons wandlungsfähige Persönlichkeit. Ich wusste, dass er, wenn er wollte, mit seinem Charme alle zu allem bewegen
    konnte. Er erinnerte mich an diese verrückten Kerle im Fernsehen, die verzweifelt versuchten, Leuten Autos aufzuschwatzen.
    Doch noch ehe Gordon sich einen Stuhl genommen und sich an den Küchentisch gesetzt hatte, wusste ich, dass es Probleme geben würde. Harold, der Mann mit dem Strohhut, schüttelte den Kopf. »Nein, mehr geht nicht. Kein Platz mehr da«, sagte er mürrisch und zog an seiner dünnen Zigarette.
    Ich umklammerte meine bereits ziemlich ramponierte Tüte und war schon im Begriff, aufzustehen und zu gehen, als Alice, die Frau des Hauses, sagte: »Jetzt halt mal die Luft an, Leo. Sieht doch ganz so aus, als wär's ein netter Junge.« Alice beugte sich vor und lächelte mich an. Ich zog die Augenbrauen hoch und lächelte zurück.
    »Wir haben doch gar keine Lizenz für Jungen.
    Gordon, das wissen Sie doch«, sagte Harold.
    Gordon wurde aufdringlich. »Es wäre doch nur für ein paar Tage, nur so lange, bis ich eine andere Bleibe für ihn gefunden habe. Ich müsste eigentlich bis - sagen wir Montag, einen Platz für ihn gefunden haben ...
    allerspätestens bis Mittwoch. Sie würden mir - und David - wirklich einen riesigen Gefallen tun.«
    »Und wo sind die Papiere?«, fragte Alice.
    Gordon hob einen Finger. »Ach ja ... Ich hab' sie gar nicht dabei, aber ... ich bringe sie nächste Woche vorbei und ... dann ... datieren wir einfach alles zurück
    ... Meine Güte, wie spät es schon wieder ist! Jetzt muss ich aber ganz schnell weiter! Nochmals vielen 209

    herzlichen Dank. Bis nächste Woche! « Schnell rannte er aus dem Haus, ehe es sich Harold und Alice noch anders überlegen konnten.
    Ich saß wie angegossen auf meinem Sofa und presste meine Tüte mit den Sachen an die Brust. Ich hielt den Kopf gesenkt, während Harold und Alice mich vorsichtig beäugten und ins Wohnzimmer schlichen.
    »Ja, und wo soll er jetzt schlafen?«, fragte Harold streng. Nach einer kleinen Auseinandersetzung beschloss Alice, dass ich ein Zimmer mit Michelle teilen solle, einem 17-jährigen Pflegekind, das nachts arbeitete. Harold protestierte weiter. Dass ich mein Zimmer mit einer jungen Dame teilen solle, sei unschicklich. Ich versuchte, einen guten ersten Eindruck zu machen, marschierte zu Harold, sah ihm direkt in die Augen und sagte mit fast kreischender Stimme:
    »Ach, das ist schon in Ordnung! Das macht mir nichts aus! «
    Schon als ich das sagte, wusste ich, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Die folgenden vier Nächte krümmte ich mich unter alten Wolldecken auf dem Wohnzimmersofa. Ich wusste nicht, warum sich Harold über meine Worte so aufgeregt hatte, aber ich hatte wenigstens eine Bleibe. Und ich war dankbar dafür.
    Nachdem ich in der folgenden Woche den Inhalt meiner Einkaufstüte kurz überprüft und dann Alice - Mrs.
    Turnbough - zum Abschied zugewinkt hatte, kletterte ich erneut in Gordons Auto. Auf ging's, zu einer neuen Pflegefamilie.

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