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Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Titel: Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jojox
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die Hand.
    Schnell zog sich das Reptil in seinen Panzer zurück.
    »Geht's ihr gut? Frisst sie auch?«
    »Ja, ja«, erwiderte Lilian mit ihrer mütterlichen Stimme. »Ich passe schon gut auf sie auf. Ich gebe ihr frisches Wasser ... «
    »Jeden zweiten Tag?«, fragte ich, sehr um mein Haustier besorgt.
    »Ja, jeden zweiten Tag, ich weiß, ich weiß. Ich hab ja nie gedacht, dass ich mal in die Lage käme, ausgerechnet eine alte Schildkröte zu versorgen ... «
    »Sie ist keine alte Schildkröte. Sie ist noch ein Baby
    ... sehen Sie?« Ich turtelte mit ihr. »Ich glaube, sie mag 192

    auch Sie ganz gern.« Lilian blickte mich streng an, als ich ihr meine Schildkröte vors Gesicht hielt.
    »David«, sagte sie liebevoll, als sie sich zu mir herüber beugte, um mir übers Haar zu streichen,
    »wenn ich dich da so mit dieser Schildkröte sehe ... Ich wünschte, die anderen sähen dich auch so wie ich.«
    Ich setzte meine Schildkröte wieder sorgfältig in die Pralinenschachtel. Dann ergriff ich Lilians Hände. »Ich weiß, dass ich schlecht gewesen bin und dass ich die Strafe für das, was ich getan hab', verdient habe. Aber ich ver
    spreche - Hand aufs Herz und großes Ehrenwort -, dass ich gut sein will. Wirklich gut. Ich versprech's ...
    Mom. «
    An jenem Abend, als ich aus dem Fenster meiner Zelle schaute, begann sich tief im Innern meiner Seele ein warmes Gefühl auszubreiten. »Ich werde es tun!«, gelobte ich. »Ich werde Mrs. C, Mr. Hutchenson und vor allem Mutter beweisen, dass ich wirklich ein guter Junge bin! « Ich wusste, dass es nur noch wenige Tage bis zu meinem Gerichtstermin waren. »Dann muss ich mir eben«, sagte ich mir, »noch ein bisschen mehr Mühe geben.« Als ich einschlief, hatte ich keine Angst mehr.
    Innerhalb weniger Tage verdoppelten sich die Punkt-zahlen für mein alltägliches Betragen fast. Ich hatte geglaubt, auch vorher schon gar nicht so schlecht abgeschnitten zu haben, aber als mir Carl Miguel, der Oberaufseher von Block C, vor versammelter Mannschaft sagte, wie großartig es diese Woche bei mir laufe, da wollte ich mich sogar noch steigern. Am Ende der Woche hatte ich den höchsten Status erreicht, den es in diesem Block gab: Gold. Mr. Hutchenson sagte mir, normalerweise bräuchten auch ziemlich gute 193

    Jungen drei oder vier Wochen, bis sie Gold geschafft hätten. Ich lächelte innerlich - im Bewusstsein, es in weniger als zwei Wochen geschafft zu haben. Bei seinem Besuch informierte mich Gordon, dass der Termin meiner Gerichtsverhandlung um ein paar Tage vorgezogen worden sei. »Ja, und wann gehen wir jetzt vor Gericht?«, fragte ich.
    »Übermorgen«, sagte er. »Bist du bereit?«
    »Ja, Sir. « Ich versuchte, selbstsicher zu klingen, doch in meinem Innern hatte ich schreckliche Angst.
    »David, ich will dich jetzt nicht durcheinander bringen, indem ich dir erzähle, was passieren oder nicht passieren kann, wenn wir vor Gericht gehen. Ich habe schon genug erlebt, um zu wissen, dass bestimmte Fälle so oder so ausgehen können. Und dein Fall gehört in diese Kategorie. Ich kann dir nur sagen, bewahr deine Ruhe; und wenn du an Gott glaubst, dann bete. Das rate ich dir. «
    Als ich allein in meiner Zelle war, spürte ich, wie mir im Kopf ganz anders wurde. Ich schloss die Augen, blendete meine Angst aus und betete.
    Nach zwei Tagen, die überhaupt nicht enden wollten, saß ich kerzengerade im Gerichtssaal. Angestrengt versuchte ich, mich an alles zu erinnern, was mir Lilian und Gordon gesagt hatten. Ich nickte Lilian zu, die hinter mir saß, und lächelte sie an. Als ich mich von ihr abwandte, sah ich Mutter zu meiner Rechten auf einem der Plätze in der ersten Reihe sitzen. Ich schloss kurz die Augen, um sicher zu sein, dass sie mir keinen Streich gespielt hatten. Aber es war tatsächlich so. Als ich wieder hinsah, wiegte Mutter Kevin in ihren Armen.
    Mein Selbstbewusstsein löste sich in nichts auf. »Sie ist da!«, flüsterte ich Gordon zu.

    194

    »Ja, aber denk dran, du musst ganz ruhig bleiben«, warnte er mich.
    Wenige Augenblicke später wurde die Nummer meines Falles aufgerufen. Ich wand mich auf meinem Platz, ehe ich einen Blick auf Mutter riskierte. Mein Anwalt, den ich erst wenige Minuten zuvor im Vorzimmer kennen gelernt hatte, stand auf und ratterte Daten und andere offiziell klingende Zahlen und Angaben so schnell herunter, dass ich nicht sicher war, ob alles, was er da sagte, auf meinen Fall bezogen war oder auf den Fall eines andern.
    Der Richter dankte meinem

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