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Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Titel: Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jojox
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Gordon versicherte mir, er habe das perfekte Zuhause für mich gefunden, obwohl meine neuen Pflegeeltern zuvor noch nie andere Kinder betreut hätten. Sie hätten ihre Lizenz gerade erst gestern erhalten. Widersprüchliche Gedanken und Gefühle schwirrten mir durch den Kopf. Je mehr Mühe 210

    Gordon sich gab, mich von meinen neuen Pflegeeltern zu überzeugen, desto klarer wurde mir, wie verzweifelt er bemüht war, mich irgendwo unterzubringen.
    Ungefähr einen Kilometer weiter parkte Gordon sein Auto vor einem kleinen braunen Haus. Ich stieg aus dem Auto, atmete tief aus und setzte für die Frau, die auf der Veranda stand, ein falsches Lächeln auf. Und noch ehe Gordon uns vorstellen konnten, rannte die Frau die Treppe hinab und presste mich an ihre Brust.
    Meine Arme baumelten kraftlos herab, als die Hände der Frau, rau wie Sandpapier, mir übers Gesicht scheuerten. Ich wusste nicht, was ich machen sollte.
    Sicher hielt mich diese Frau für ein anderes Kind. Nach einer Ewigkeit voller Liebkosungen und nachdem sie mich mit ihren Umarmungen nochmals fast erdrückt hätte, hielt mich die Frau auf Armeslänge entfernt, um mich anzusehen. »Ach, sieh doch nur!«, turtelte sie, als sie mich so heftig an den Schultern schüttelte, dass mein Kopf hin und her wackelte. »Ach, ich könnte dich mit Haut und Haaren auffressen! Gordon, er ist ja soooo süß! David«, schrie die Frau, als sie mich die Treppe hoch und ins Haus stieß, »ich habe ja schon so lange auf einen Jungen wie dich gewartet! «
    Ich stolperte in das kleine Wohnzimmer, eifrig bemüht, nicht das Gleichgewicht zu verlieren und hinzufallen. Und als sich das Durcheinander in meinem Kopf gerade zu lichten begann, schubste mich die Frau auf ihr Sofa. Gordon versuchte sein Bestes, um die Frau zu beruhigen, indem er sie zwang, endlose Papiere und Schriftsätze zu lesen, ehe sie das Sorgerecht übertragen bekam. Schließlich ließ er sie sich setzen und erklärte ihr dann alles Erforderliche über mich und meinen Charakter, immer und immer wieder. Dabei betonte er ständig, sie solle ihn anrufen, 211

    wenn sie noch irgendwelche Fragen hätte. »Aber ich bitte Sie«, sagte die Frau, indem sie mich anlächelte und meine Hand ergriff. »Ein kleiner Junge wie der da, mit dem sollte es doch überhaupt keine Probleme geben.«
    Gordon und ich blinzelten einander im selben Augenblick zu. »Na, dann ist ja alles in Ordnung«, sagte Gordon, stillvergnügt in sich hineinlächelnd. »Dann will ich mich wieder auf den Weg machen und euch beide allein lassen, damit ihr euch besser kennen lernen könnt.«
    Ich brachte Gordon noch zur Tür. Ohne dass die Dame es mitbekam, beugte er sich zu mir hinab und flüsterte: »Na, dann sei mal ein guter kleiner Junge.«
    Dass ich bei diesen Worten zusammenzucken würde, wusste er schon im Voraus.
    Nachdem Gordon weg war, ließ sich die Frau aufs Sofa fallen. Sie zwinkerte mit den Augen und schüttelte minutenlang den Kopf. Es fehlte nur noch, dass sie zu weinen anfing. »Nein, sieh doch nur!«
    Ich erwiderte ihr Lächeln und streckte ihr, ohne weiter nachzudenken, die Hand entgegen: »Ich heiße David Pelzer. «
    Die Frau schlug ihre Hand vor den Mund. »Oh, wie dumm von mir! Ich heiße Joanne Nulls, und du kannst
    >Mrs. Nulls< zu mir sagen. Wie klingt das?«
    Ich nickte mit dem Kopf, und mir war vollkommen klar, dass Joanne mich eher für ein Kind als für einen 13jährigen Teenager hielt. Eigentlich wollte ich aber als Teenager anerkannt sein. »Das ist sehr nett von Ihnen
    ... Mrs. Nulls«, erwiderte ich.
    In Nullkommanichts sprang Mrs. Nulls vom Sofa auf und zeigte mir stolz ein gerahmtes Foto ihres Mannes.

    212

    »Das ist Michael«, gurrte sie. »Mr. Nulls. Er arbeitet bei der Post«, sagte sie, während sie das Foto vor ihrer Brust hin und her wiegte und tätschelte, als habe sie ein lebendiges Kleinkind im Arm. Nachdem ich Mr. Nulls begegnet war, ging es mir schon etwas besser. Er bestand darauf, dass ich ihn ganz normal mit »Michael«
    anredete. An Joannes Gesicht konnte ich ablesen, dass ihr Michaels lockere Manieren überhaupt nicht passten.
    Das fasste sie als Infragestellung ihrer Regeln auf.
    In Michaels Gegenwart schien sie sich immer nur auf die Lippen zu beißen, doch sobald er zur Arbeit gegangen war, verfiel sie wieder in ihre Angewohnheit, mich wie eine Spielzeugpuppe zu behandeln. Joanne bestand darauf, dass sie mir die Haare wusch, und sie verbot mir, mit dem Fahrrad weiter als bis zur Ecke des Straßenblocks zu

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