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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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ganz langsam, in die Mansarde hochstieg, in das Reich meiner Großeltern.
    Auf Turnschuhen lief er unter den zwölf feuchten, mit Zeitungspapier ausgeschlagenen Vogelkäfigen hindurch, die von den Dachbalken herabhingen. Unerschrocken tauchte er in das beißende Aroma meiner Großeltern, einer Mischung aus Mottenkugeln und Haschisch. Er umkurvte den mit Büchern voll gestapelten Schreibtisch meines Großvaters und seine Sammlung Rembetika-Schallplatten. Schließlich, nachdem er noch gegen die Lederottomane und den kreisrunden Messingcouchtisch gestoßen war, gelangte er zum Bett meiner Großeltern und, darunter, zu der Seidenraupenkiste.
    Aus Olivenholz geschnitzt, ein wenig größer als ein Schuhkarton, hatte sie einen Blechdeckel, in den winzige Luftlöcher gestanzt und das Bild eines unkenntlichen Heiligen eingeprägt waren. Das Gesicht des Heiligen war abgewetzt, doch die Finger seiner rechten Hand hatte er zur Segnung eines kleinen, purpurroten, ungeheuer selbstbewusst wirkenden Maulbeerbaums erhoben. Pleitegeier betrachtete diese lebendige botanische Erscheinung eine Weile, dann zog er die Kiste ganz unterm Bett hervor und öffnete sie. Im Innern waren zwei Hochzeitskronen aus Schnur und, wie Schlangen aufgerollt, zwei lange Haarzöpfe, jeder mit einem bröckelnden schwarzen Band zusammengebunden. Er berührte einen der Zöpfe mit dem Zeigefinger. Da kreischte ein Sittich auf. Mein Bruder fuhr zusammen und schloss die Kiste, klemmte sie sich unter den Arm und brachte sie Desdemona.
    Sie wartete noch immer an der Tür. Kaum hatte sie ihm die Seidenraupenkiste aus den Händen genommen, ging sie damit zurück in die Küche. Pleitegeier erhaschte einen Blick in den Raum, in dem alle Frauen nun verstummten. Sie wichen zur Seite, um Desdemona durchzulassen, und dort, mitten auf dem Linoleum, war meine Mutter. Tessie Stephanides saß zurückgelehnt auf einem Küchenstuhl, hingedrückt von der gewaltigen, trommelharten Kugel ihres schwangeren Bauchs. Auf ihrem Gesicht, das gerötet und erhitzt war, lag ein seliger, hilfloser Ausdruck. Desdemona stellte die Seidenraupenkiste auf den Küchentisch und klappte den Deckel auf. Sie langte unter die Hochzeitskronen und die Haarzöpfe und förderte etwas zutage, was Pleitegeier übersehen hatte: einen Silberlöffel. An den Griff des Löffels band sie ein Stück Bindfaden. Dann beugte sie sich vor und ließ den Löffel über dem angeschwollenen Bauch meiner Mutter baumeln. Und, somit, über mir.
    Bis dahin war Desdemonas Bilanz ohne Makel gewesen: drei undzwanzig richtige Voraussagen. Sie hatte gewusst, dass Tessie Tessie werden würde. Sie hatte das Geschlecht meines Bruders und aller Kinder ihrer Kirchenfreundinnen voraus gesagt. Die einzigen Kinder, deren Geschlecht sie nicht geweissagt hatte, waren ihre eigenen, weil es einer Mutter Unglück brachte, wenn sie die Mysterien des eigenen Schoßes ergründete. Furchtlos hingegen ergründete sie den meiner Mutter. Nach anfänglichem Zögern schwenkte der Löffel auf Nord-Süd, was bedeutete, dass ich ein Junge werden würde.
    Breitbeinig auf dem Stuhl sitzend, versuchte meine Mutter zu lächeln. Sie wollte keinen Jungen. Sie hatte schon einen. Ja, sie war so sicher, dass ich ein Mädchen werden würde, dass sie nur einen Namen für mich ausgesucht hatte: Calliope. Doch als meine Großmutter auf Griechisch »Ein Junge!« brüllte, flog der Schrei in der Küche umher und hinaus auf den Flur und über den Flur ins Wohnzimmer, wo die Männer politisierten. Und meine Mutter, die ihn wieder und wieder hörte, glaubte schließlich, dass das, was sie hörte, wahr sein könnte.
    Als der Schrei meinen Vater erreichte, marschierte der sogleich in die Küche, um seiner Mutter zu sagen, dass ihr Löffel ausnahmsweise Unrecht habe. »Und wie willst du wissen?«, fragte Desdemona ihn. Worauf er antwortete, was viele Amerikaner seiner Generation geantwortet hätten:
    »Das ist Wissenschaft, Ma.«
    Seit sie beschlossen hatten, ein zweites Kind zu bekommen das Diner lief gut, und Pleitegeier war den Windeln lange schon entwachsen -, waren sich Milton und Tessie einig, dass sie eine Tochter haben wollten. Pleitegeier war gerade fünf geworden. Unlängst hatte er im Garten einen toten Vogel gefunden und ins Haus gebracht, um ihn seiner Mutter zu zeigen. Er schoss gern auf Sachen, hämmerte gern auf Sachen, zerdepperte gern Sachen und rangelte gern mit seinem Vater. In einem so männlichen Haushalt kam sie sich allmählich ein wenig überflüssig

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