Middlesex
durch den Kopf. Die Gemeinde stand auf und setzte sich. Auf der ersten Bank zappelten meine Cousins Socrates, Platon, Aristoteles und meine Cousine Cleopatra. Father Mike trat hinter der Ikonostase hervor und schwenkte sein Weihrauchgefäß. Meine Mutter versuchte zu beten, doch es war zwecklos. Sie hielt gerade eben so bis zum Kaffeekränzchen durch.
Ab dem zarten Alter von zwölf Jahren war meine Mutter außerstande, den Tag ohne die Hilfe wenigstens zweier Tassen unmäßig starken, pechschwarzen, ungesüßten Kaffees zu beginnen, eine Vorliebe, die sie von den Schlepperkapitänen und schnieken Junggesellen übernommen hatte, die die Pension bevölkerten, in der sie aufgewachsen war. Als Highschool-Mädchen mit ihren eins dreiundfünfzig hatte sie im Diner an der Ecke neben Autos bauenden Fabrikarbeitern gesessen und noch vor der ersten Schulstunde einen Kaffee getrunken. Während die ihre Rennquoten studierten, saß Tessie über ihren Hausaufgaben für Staatsbürgerkunde. Nun, im Kellergeschoss der Kirche, sagte sie Pleitegeier, er solle mit den anderen Kindern spielen, solange sie, um wieder auf die Beine zu kommen, eine Tasse Kaffee trinke.
Sie war bei ihrer zweiten, als eine sanfte, frauliche Stimme ihr ins Ohr seufzte. »Guten Morgen, Tessie.« Es war ihr Schwager, Father Michael Antoniou.
»Hallo, Father Mike. Schöner Gottesdienst heute«, sagte Tessie und bedauerte es sofort. Father Mike war an der Himmelfahrtskirche der Hilfspriester. Als der letzte Priester, nach gerade mal drei Monaten nach Athen zurückbeordert, gegangen war, hatte die Familie gehofft, Father Mike würde befördert werden. Aber dann hatte doch wieder ein neuer, im Ausland geborener Priester die Stelle erhalten, Father Gregorios. Tante Zo, die keine Gelegenheit ausließ, über ihre Ehe zu klagen, hatte beim Essen mit ihrer Komikerinnenstimme gesagt: »Mein Mann. Immer die Brautjungfer und nie die Braut.«
Mit ihrem Lob des Gottesdienstes hatte Tessie nicht Father Greg gemeint. Die Situation wurde noch heikler dadurch, dass Tessie und Michael Antoniou Jahre früher einmal verlobt gewesen waren. Jetzt war sie mit Milton verheiratet, und Father Mike mit Miltons Schwester. Tessie hatte da unten im Keller eigentlich den Kopf frei bekommen und ihren Kaffee trinken wollen, und schon geriet ihr der ganze Tag wieder durcheinander.
Doch Father Mike schien die Kränkung nicht wahrzunehmen. Lächelnd stand er da, die Augen sanft über dem rauschenden Wasserfall seines Bartes. Ein gütiger Mann, Father Mike, und beliebt bei den Kirchenwitwen. Sie scharten sich immer gern um ihn, boten ihm Kekse an und sonnten sich in seinem beseligenden Wesen. Ein Teil dieses Wesens rührte daher, dass Father Mike es vollkommen zufrieden war, nur eins sechzig groß zu sein. Seiner Kleinheit haftete etwas Mildtätiges an, so als hätte er seine Größe verschenkt. Er schien Tessie vergeben zu haben, dass sie vor Jahren ihre Verlobung gelöst hatte, aber noch immer hing sie zwischen ihnen in der Luft wie der Talkumpuder, der zuweilen in Wölkchen aus seinem Priesterkragen stob.
Lächelnd, sorgsam Kaffeetasse und Untertasse haltend, fragte Father Mike: »Na, Tessie, wie steht's zu Hause?«
Natürlich wusste meine Mutter, dass Father Mike als wöchentlicher Gast über das Thermometerprojekt genaustens informiert war. Als sie ihm in die Augen sah, meinte sie, etwas Schalkhaftes darin zu entdecken.
»Du kommst doch heute«, sagte sie beiläufig. »Dann siehst du's ja selbst.«
»Ich freue mich schon«, sagte Father Mike. »Bei euch gibt es immer so interessante Diskussionen.«
Tessie prüfte Father Mikes Augen noch einmal, aber nun schien echte Wärme von ihnen auszugehen. Und dann geschah etwas, was ihre Aufmerksamkeit vollkommen von Father Mike ablenkte.
Am anderen Ende des Raums war Pleitegeier auf einen Stuhl gestiegen, um den Hahn der Kaffeemaschine zu erreichen. Er wollte sich eine Tasse eingießen und kriegte den Hahn auch auf, aber nicht mehr zu. Kochend heißer Kaffee ergoss sich über den Tisch. Die heiße Flüssigkeit bespritzte ein Mädchen, das daneben stand. Das Mädchen sprang zurück. Ihr Mund öffnete sich, aber es kam kein Ton heraus. Im Eiltempo rannte meine Mutter quer durch den Raum und bugsierte das Mädchen in die Damentoilette.
Niemand weiß noch, wie das Mädchen hieß. Sie gehörte zu keinem der regelmäßigen Kirchgänger. Sie war nicht einmal Griechin. Sie kam an dem einen Tag in die Kirche und dann nie wieder und schien nur
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