Midkemia Saga 01 - Der Lehrling des Magiers
hoch. »So, du kannst also lesen, was?«
Pug zuckte zusammen. Er fürchtete, den Magier beleidigt zu haben, indem er versuchte, in sein Reich vorzudringen. Kulgan, der seine Verlegenheit spürte, beruhigte ihn. »Schon gut, Knabe. Es ist kein Verbrechen, die Buchstaben zu kennen.«
Pug fühlte, wie sein ungutes Gefühl wich. »Ich kann ein bißchen lesen, mein Herr. Megar, der Koch, hat mir gezeigt, wie man die Aufschriften auf den Kisten liest, die im Keller gelagert werden. Ich kenne auch ein paar Zahlen.«
»Soso, auch ein paar Zahlen«, wiederholte der Magier gutmütig. »Na, du bist mir ja mal ein seltener Vogel.«
»Das Buch da, mein Herr, was ist das?« Pug deutete auf ein in kostbares dunkelbraunes Leder gebundenes Werk. »So etwas habe ich noch nie gesehen.«
Einen Augenblick betrachtete Kulgan Pug mit einem Blick, der in diesem gleich wieder ein ungutes Gefühl hervorrief. Doch dann lächelte er. »Das ist die Geschichte dieses Landes, Knabe. Es ist die Gabe des Abtes eines Ishaperianer-Klosters. Es handelt sich um die Übersetzung eines Textes aus Kesh, der mehr als einhundert Jahre alt ist.«
Pug nickte. »Was besagt sie?«
Wieder blickte Kulgan so auf Pug, als versuchte er, etwas in dem Jungen zu sehen. Dann sagte er: »Vor sehr langer Zeit, Pug, gehörten alle diese Lande, vom Endlosen Meer über die Grauen Turmberge bis hin zum Bitteren Meer zum Kaiserreich Groß-Kesh. Ganz weit im Osten gab es ein kleines Königreich. Dies lag auf einer kleinen Insel namens Rillanon. Es wuchs und verschlang die benachbarten Inselreiche, und schließlich wurde es zum Königreich der Inseln, Später dehnte es sich noch weiter aus, und jetzt nennen wir es einfach nur noch das Königreich. Wir, die wir in Crydee leben, sind Teil dieses Königreichs. Aber wir sind so weit entfernt von seiner Hauptstadt, wie es nur möglich ist, wenn man noch innerhalb seiner Grenzen sein will.
Es begab sich nun einmal, vor vielen, vielen Jahren, daß das Kaiserreich Groß-Kesh diese Lande vernachlässigte, denn es befand sich in einem langen, blutigen Konflikt mit seinen Nachbarn im Süden, der Konföderierten Keshs.«
Pug war in die Größe verlorener Kaiserreiche vertieft, aber dennoch so hungrig, daß es ihm nicht entging, daß Meecham ein paar kleine, dunkle Brote in den Ofen schob. Er wandte sich wieder dem Magier zu. »Wer waren die Konf…«
»Die Konföderierten Keshs«, sagte Kulgan für den Jungen. »Nun, das ist eine Gruppe kleiner Nationen, die jahrhundertelang Tribut an Groß-Kesh zahlen mußten. Ein Dutzend Jahre, ehe dieses Buch geschrieben wurde, vereinigten sie sich dann gegen ihren Unterdrücker. Jede Nation für sich allein war nicht in der Lage, mit Groß-Kesh zu streiten, aber vereint zeigten sie sich ihm gewachsen. Doch sie waren einander ebenbürtig, und der Krieg zog sich über Jahre und Jahre hin. Das Kaiserreich war gezwungen, die Legionen aus den nördlichen Provinzen abzuziehen und gen Süden zu schicken. So blieb der Norden offen für die Vorstöße des neuen, jüngeren Königreiches.
Es war Herzog Borrics Großvater, der jüngste Sohn des Königs, der die Armee nach Westen führte und so das Westliche Reich vergrößerte. Seit damals wird alles, was einst zu der alten, kaiserlichen Provinz Bosania gehörte - mit Ausnahme der Freien Städte von Natal - als Herzogtum Crydee bezeichnet.«
Pug überlegte einen Augenblick, ehe er sagte: »Ich glaube, ich würde eines Tages gern einmal in dieses Groß-Kesh reisen.«
Meecham schnaubte, einem Lachen nicht unähnlich. »Und als was würdest du gern reisen? Als Freibeuter?«
Pug fühlte, wie sein Gesicht rot anlief. Freibeuter waren landlose Männer, die gegen Bezahlung kämpften. Man achtete sie kaum höher als Gesetzlose.
Kulgan meinte: »Vielleicht wirst du das eines Tages tun, Pug. Der Weg ist lang und voller Gefahren, aber man hat schon davon gehört, daß eine tapfere Seele die Reise überlebt hat.«
Das Gespräch am Tisch wandte sich allgemeineren Themen zu, denn der Magier war länger als einen Monat in der südlicher Burg von Carse gewesen und wünschte jetzt das Neueste aus Crydee zu erfahren. Als das Brot fertig gebacken war, tischte Meecham es noch heiß auf, zerlegte dann das Schwein und stellte Teller mit Käse und Gemüse vor sie hin. Noch nie in seinem ganzen Leben hatte Pug so gut gegessen. Selbst als er in der Küche gearbeitet hatte, stand ihm als Burgjungen nur ein mageres Mahl zu. Zweimal während des Essens ertappte Pug den Magier
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