Midkemia Saga 06 - Des Königs Freibeuter
Rückweg noch Zeit für einen Besuch bei uns haben?«
»Reichlich«, erwiderte Amos grinsend. »Selbst wenn es einen Monat dauert, kann ich noch ein paar Tage bei euch verbringen, ehe wir zurück nach Krondor fahren. Wenn das Ausladen schnell geht, könnte ich den Männern eine Woche Ruhe gönnen, bevor wir uns die Straße der Finsternis vornehmen.«
»Das würden sie sicherlich begrüßen«, meinte Martin.
Das Netz war rasch entladen. Martin sagte zu Nicholas: »Reitet zurück zur Burg und teilt Haushofmeister Samuel mit, daß ich in einer halben Stunde zum Essen da bin.«
Nicholas wollte schon gehen, da fragte er: »Soll ich hierher zurückkommen … Euer Gnaden?«
Martin fragte: »Was habt Ihr denn gedacht?«
Nicholas’ Antwort klang selbst in seinen eigenen Ohren dumm.
»Ich weiß nicht.«
Martins Tonfall war weder böse noch besonders nett. »Ihr seid mein Junker. Euer Platz ist an meiner Seite, solange ich Euch nichts anderes sage. Also kehrt Ihr, sobald Ihr getan habt, was ich Euch aufgetragen habe, zu mir zurück.«
Nicholas errötete, weil er nicht gleich darauf gekommen war.
»Sofort, Euer Gnaden.«
Er gab dem Wallach die Sporen und ließ das Tier im leichten Galopp vom Hafengelände traben. In den Straßen der Stadt mußte er wegen der anderen Leute etwas langsamer reiten. Hier war fast jeder Reiter auch ein Adliger, deshalb machten die meisten Menschen Nicholas den Weg frei, wenn sie ihn kommen hörten. Dennoch mußte er vorsichtig sein. Dabei konnte er sich allerdings auch ein wenig umsehen. Die Läden machten inzwischen auf, und Straßenverkäufer stapelten ihre Waren auf Karren und Stände. Zwei junge Frauen, die vielleicht ein oder zwei Jahre älter waren als er selbst, tuschelten miteinander, als Nicholas vorbeiritt.
Crydee erschien ihm fremdartig. Es war weder wie die guten noch wie die armen Viertel von Krondor; es war ganz anders. Es gab keine Bettler und vermutlich auch keine Diebe. Er zweifelte, ob hier am Abend in der Nähe der Wirtshäuser Huren ständen. Im Hafenviertel vielleicht. Große Mühlen, Gerbereien und Färbereien waren auf den ersten Blick nicht zu entdecken. Kein Zweifel, diese Gewerbe würde es in Crydee auch geben, doch die Nase wies einem – anders als im Hafenviertel in der Stadt des Prinzen – nicht den Weg zu ihnen.
Doch trotz allem war Crydee eine Stadt – eine große, geschäftige Stadt, und als solche erregte sie gleichzeitig Nicholas’ Staunen und machte ihm angst. Aber allmählich legte sich seine Aufregung, wurde durch die Neugierde auf den Ort und seine Menschen verdrängt.
Er erreichte den östlichen Stadtrand und ließ sein Pferd wieder in leichten Galopp fallen. Dabei trieb ihn weniger das Verlangen, ein guter Junker zu sein. Nein, es gab einen viel einfacheren Grund: er war hungrig.
Junker
Nicholas stolperte.
Harry meinte im Vorbeigehen: »Beeil dich, oder Samuel reißt uns die Ohren ab.«
In der Woche, seit sie in Crydee angekommen waren, hatten die Jungen ihren eigentlichen Feind kennengelernt: Haushofmeister Samuel. Der Mann war schon an die achtzig Jahre alt und hatte bereits zu Zeiten von Nicholas’ Großvater gedient. Und er konnte noch immer gut mit der Rute umgehen.
Am Morgen nach Amos’ Abreise hatte Harry, während er mit einem Auftrag unterwegs war, zwei Mädchen kennengelernt und war reichlich spät zurückgekommen. Als Samuel ihm die Rute zeigte, hatte Harry noch Witze gemacht, denn er war nicht mehr verprügelt worden, seit er das Anwesen seines Vaters verlassen hatte. Doch der alte Mann scherzte nicht, und Harry hatte die Strafe schulterzuckend über sich ergehen lassen wollen, bis er merkte, wieviel Kraft Samuel noch in den Knochen hatte. Nicholas hatte versucht, einer ähnlichen Bestrafung aus dem Wege zu gehen, doch am dritten Tag hatte er einige der Aufgaben, die er für den Herzog zu erledigen hatte, verpfuscht. Er hatte gehofft, sein Rang würde ihn schützen, doch Samuel hatte nur gesagt: »Ich habe seinerzeit schon deinen Onkel, den König, verhauen, Junge.«
Die beiden Junker rannten über den Hof, wo sie sich mit ihrem Herrn beim ersten Tageslicht treffen sollten. Der Haushofmeister würde ihnen dann mitteilen, ob es Aufgaben außer der Reihe gab, oder ob sie sich auf ihren gewohnten Posten von den Türen von Martin und Marcus einfinden sollten. Normalerweise mußten sie jederzeit für den Herzog und seinen Sohn verfügbar sein, doch manchmal hatte sich Martin etwas anderes für sie ausgedacht, und dann gab er
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