Midleifcrisis
»Dein hübscher Freund schleppt jedes Mal eine andere ab«, diagnostiziert sie, »und du gehst immer allein nach Haus. Deswegen war ich ganz schön überrascht, als du den großen Aufreißer versucht hast.«
»Das war peinlich«, murmele ich betreten. Aber sie lächelt mich über ihr Weinglas an. »Ich fand es eigentlich recht niedlich«, sagt sie. »Und ich habe mich eine Woche lang gefragt, was du wohl für eine schräge Type bist.«
Ich erzähle es ihr.
Ich erzähle ihr meine ganze lange, traurige Geschichte. Vom Rosenbubi. Von den Kindern. Von Elke. Von meiner Unfähigkeit, die drei zu verlassen. Sie streichelt meinen Handrücken, nur einmal, aber es ist das schönste Gefühl, das ich seit Monaten gespürt habe.
Dann erzählt sie ihre Geschichte. Als Mädchen ein Jahr im Austausch in die USA gegangen. Sich in Sean verliebt. Mit Sean geschlafen. Bis zum Abi eine Fernbeziehung geführt. Dann kam er nach Deutschland. Heirat. Kinder, das ganze Programm.
»Und dann?«, frage ich.
»Das willst jetzt du nicht wissen«, sagt sie.
Aber ich will.
Sarah sieht mich lange an. Dann holt sie tief Luft. »Aber sag hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
Ihre Geschichte ist eine Ohrfeige für mein sanftes Gemüt. Ehe eingeschlafen. Immer weniger Liebe. Immer weniger Sex. Irgendwann gar kein Sex mehr. Bis zu dem Karnevalssamstag, als Sarah als Polizist und er als Gretchen auf die Party gingen. Kamen betrunken nach Hause, die Kinder waren bei Oma. Sie war geil, er war geil. Er fiel über sie her, zog ihr die Hose runter und vögelte sie in Polizeiuniform. Und zwar ungefragt in den Arsch.
Seit diesem verstörenden Abend haben Sarah und Sean nur noch Sex, wenn sie sich als Mann verkleidet und ihm ihren Hintern hinhält. Sarah liebt ihn noch immer, und in einem verzweifelten Versuch, die Lage in den Griff zu bekommen, hat sie sogar ihre langen, dunklen Haare abgeschnitten. Denn Sean hat entdeckt, dass er eigentlich lieber mit Männern schläft. So grotesk die Situation ist, sie leben weiterhin zusammen. Wegen der Kinder. Und weil er sich keine eigene Wohnung leisten kann. Er geht aus, wo man in Köln eben ausgeht, wenn man schwul oder bi ist, sie bringt die Kleinen zur Oma und geht allein und verzweifelt tanzen.
Ich streichele unbeholfen Sarahs Hand und sage: »Oh Gott, oh Gott, du Ärmste, und ich hab gedacht, meine Ehe wäre scheiße.«
Sie heult ein bisschen, dann putzt sie sich die Nase und fragt: »Gilt dein Angebot von letzter Woche noch?«
Wir fahren ans Rheinufer. Sarah kuschelt sich zu mir auf den Fahrersitz, ich streichele ihr Gesicht und ihren Nacken, wir schweigen eine ganze lange Weile und ich rieche ihr Parfüm, und ihre kurzen Haare fühlen sich ganz anders an als die von Elke. Nach einer Weile klingeln wieder ihre Ohrringe, das tun sie immer, wenn Sarah einen Entschluss gefasst hat und den Kopf in den Nacken wirft. Dann knöpft sie erst mein Hemd und unter einigen Mühen meine Hose auf. Sie hebt ihren Rock hoch, schiebt den Slip zur Seite und ich fühle mich in sie gleiten. Sarah keucht, Sarah weint, Sarah küsst mich, und es ist der bis dahin seltsamste Sex meines Lebens. Als ich komme, beißt sie mir in die Unterlippe und später sagt sie: »Danke.«
Ich frage: »Wofür?«
»Dass ich eine Frau sein durfte.«
Die Affäre mit Sarah läuft ein halbes Jahr. Wir treffen uns einmal in der Woche beim Tanzen, wir hauen ab, irgendwohin, auf die Toilette, in ein dunkles Treppenhaus, in einen Park oder in Roberts Wohnung, und wir machen Sarah zur Frau. Darüber, dass ich mich von Elke trennen könnte und sie sich von Sean, reden wir nie. Schon der Gedanke daran verstört mich. Elke würde die Kinder behalten, und ich würde Sarahs Kinder bekommen, er will nicht rein in meinen Kopf, dieser Familientausch, er erscheint mir obszön und undenkbar.
Als Sarah sich von Sean trennt, macht sie auch mit mir Schluss. Zum Abschied küsst sie mich und sagt: »Du warst genau der Richtige im richtigen Moment. Aber nun möchte ich immer Frau sein und nicht nur mittwochs.«
Darüber, dass es in Wahrheit genau andersherum war, haben wir nicht mehr gesprochen. Denn eigentlich glaube ich, dass Sarah die richtige Frau war, im richtigen Moment. Um mich wieder zu dem zu machen, was ich sein will: ein Mann!
After-Sex-Sex
Es ist kaum zu glauben, wie kalt eine erloschene Liebe sein kann. Und wie warm sich dennoch Familie anfühlt.
Lisa geht jetzt in die Schule, jeden Morgen schultert sie voller Ernsthaftigkeit ihren
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