Midnight Breed 02 - Gefangene des Blutes-neu-ok-10.11.11
jetzt schon
weg? Ich dachte, ich könnte dich zum Abendessen überreden.“
„Ich habe schon vor Stunden zu
Abend gegessen, Ben.“
„Dann eben Frühstück. Bei mir
oder bei dir?“
„Ben“, sagte sie und wich ihm
aus, als er zu ihr herüberkam und ihre Wange streichelte. Seine Berührung war
warm und zart und wohltuend vertraut. „Das haben wir doch schon mehr als einmal
besprochen. Ich denke einfach nicht, dass es eine gute Idee ist …“
Er stöhnte leise auf, ein
eindeutig zu erregtes Stöhnen, tief und heiser. Es hatte eine Zeit gegeben, in
der dieses Stöhnen ihre Selbstbeherrschung in Butter verwandelt hatte, aber
nicht heute Nacht. Nie, nie wieder, wenn sie irgendwie ihre persönliche
Integrität bewahren wollte. Es kam ihr einfach nicht richtig vor, mit Ben ins
Bett zu gehen, weil er etwas von ihr wollte, das sie ihm nicht geben konnte.
„Ich könnte doch dableiben, bis
du hier fertig bist“, schlug er vor, versuchte es mit einem Kompromiss. „Mir
gefällt die Idee nicht, dass du hier ganz allein bist. Das ist hier nicht
gerade die sicherste Gegend.“
„Geht schon klar. Ich mache nur
meine Untersuchung fertig, dann erledige ich noch etwas Papierkram und mache
den Laden dicht. Kein Problem.“
Ben schmollte, er war drauf und
dran, mit Tess Streit anzufangen, bis sie schließlich seufzte und ihm ihren
speziellen Blick zuwarf. Sie wusste, dass er den verstand, den hatte er
in ihren gemeinsamen zwei Jahren oft zu sehen bekommen. „Na gut“, lenkte er
schließlich ein. „Aber bleib nicht zu lange. Und morgen früh rufst du mich
gleich an, versprochen?“
„Versprochen.“
„Und du bist dir ganz sicher,
dass du allein mit Shiva zurechtkommst?“
Tess sah auf das magere Geschöpf
herunter, das ihr prompt die Hand leckte, sobald sie in seine Reichweite kam.
„Wir kommen schon klar miteinander.“
„Was hab ich gesagt, Doc? Dein
magisches Händchen. Sieht aus, als wäre er dir auch schon verfallen.“ Ben fuhr
sich mit den Fingern durch sein goldblondes Haar und sah sie gespielt
niedergeschlagen an. „Ich schätze, um dein Herz zu erobern, muss ich mir Fell
und Fangzähne wachsen lassen, ist es das?“
Tess lächelte und rollte die
Augen. „Geh nach Hause, Ben.
Ich ruf dich morgen an.“
3
Tess wurde schlagartig wach.
Mist. Für wie lange war sie
eingedöst? Sie saß in ihrem Büro, ihre Wange ruhte auf Shivas Akte, die offen
auf dem Schreibtisch lag. Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war, dass sie
den unterernährten Tiger abgetastet und ihn zurück in seinen Käfig geführt
hatte, um dann ihren Befund niederzuschreiben. Das war - sie sah auf ihre
Armbanduhr - vor zweieinhalb Stunden gewesen. Es war kurz vor drei Uhr
morgens. Um sieben fing sie schon wieder in der Klinik an.
Tess gähnte tief und streckte
ihre verkrampften Arme.
Da hatte sie aber Glück gehabt -
sie war aufgewacht, bevor Nora am Morgen zur Arbeit kam. Sonst hätte sie
vielleicht was zu hören bekommen …
Irgendwo im hinteren Teil ihrer
Klinik hörte sie ein lautes, polterndes Geräusch.
Was zum Teufel …?
War sie eben wegen eines
ähnlichen Geräuschs so plötzlich aufgewacht?
Oh, Mist, natürlich. Ben. Er
musste noch mal an der Klinik vorbeigefahren sein und das Licht gesehen haben.
Es wäre nicht das erste Mal, dass er auf einer nächtlichen Spritztour
vorbeikam, um nach ihr zu sehen. Auf eine Gardinenpredigt zu ihren verrückten
Arbeitszeiten oder ihrem störrischen Hang zur Unabhängigkeit hatte sie nun weiß
Gott keine Lust.
Wieder hörte sie das Geräusch,
ein rumpelndes Poltern, gefolgt von einem abrupten metallischen Klirren, als
etwas von einem Regal geschlagen wurde.
Was bedeutete, dass jemand
hinten im Lagerraum war.
Tess stand auf und ging ein paar
zögerliche Schritte auf ihre Bürotür zu, lauschte auf das kleinste untypische Geräusch.
Die frisch operierten Katzen und Hunde in ihren Käfigen hinter dem
Empfangsbereich wurden unruhig. Einige jaulten, andere ließen tiefe, knurrende
Warnlaute hören.
„Hallo?“, rief Tess in den
leeren Raum. „Ist da jemand? Ben, bist du das? Nora?“
Niemand antwortete. Und die
Geräusche, die sie vorher gehört hatte, waren nun auch verstummt.
Na großartig. Jetzt
hatte sie einem Einbrecher ihre Anwesenheit verkündet. Brillant, Doktor
Culver. Absolut spitzenmäßig.
Sie versuchte sich zu trösten,
indem sie ihren Verstand zu Wort kommen ließ. Vielleicht war es nur ein
Obdachloser, der einen Unterschlupf gesucht und es irgendwie
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