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Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)

Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)

Titel: Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Retzer
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für die Entwicklung von Wissenschaft tun. [91]  
    Fehler und Irrtümer sind Schlüsselerfahrungen, mit deren Hilfe Kinder lernen. Oft verbindet sich damit die Freude am Neuen und Überraschenden. Wenn wir älter werden, machen wir weniger Fehler. Wir funktionieren effizienter und teilen immer mehr Vorstellungen über die Welt mit immer mehr anderen Erwachsenen. Der Preis, den wir dafür zu zahlen haben: Immer seltener bringen die mit Spaß und Freude verbundenen Irrtümer der Kindheit unsere inzwischen stabilen Standpunkte zum Wackeln. Die Welt enthält immer weniger Neuigkeiten. Wir suchen allerdings auch seltener danach.
    Fehler und Irrtümer ermöglichen uns, unsere individuellen Biographien zu verändern. Das gilt auch im größeren Rahmen der Evolution. Dass wir, evolutionär betrachtet, sind, was wir heute sind, verdanken wir auch den Fehlern und Irrtümern der Natur, den Mutationen, also der fehlerhaften Reproduktion des Erbgutes.
    Unsere Fehler und Irrtümer können die automatisierten Abläufe unseres Handelns unterbrechen. Sie können uns zögern und zaudern lassen. Sie geben uns die Gelegenheit, neu anzufangen oder anders fortzufahren, aber auch, etwas sein zu lassen.
    Die Väter und Mütter des Erfolges sind unsere Irrtümer und Fehler.

Man muss sich geirrt haben, um davon wissen zu können
    Man kann sich nicht gleichzeitig irren und wissen, dass man sich irrt. Ein Irrtum ist nur ein Irrtum, wenn er zur Kenntnis genommen wird. Dazu muss er aber erst stattgefunden haben. Deshalb ist der Satz »Ich habe mich geirrt« korrekter als der Satz »Ich irre mich«.
    Von Fehlern oder Irrtümern zu wissen bezieht sich also auf Vergangenheit. Der Irrtum muss stattgefunden haben. Der Wunsch, Fehler- oder Irrtümer zu vermeiden, bezieht sich dagegen naturgemäß auf die Zukunft. Warum diese haarspalterische Unterscheidung? Weil sich daraus zwei verschiedene Möglichkeiten ergeben, was unsere Irrtümer mit uns machen.

Null-Fehler-Toleranz: Ignorieren oder kontrollieren? – Miese Stimmung garantiert!
    Mögen wir Fehler nicht, dann mögen wir es auch nicht, dass wir uns irren. Den Wunsch nach Fehlerlosigkeit kann man sich erfüllen, indem man erst gar nicht zur Kenntnis nimmt, dass man sich geirrt hat. Andererseits kann man versuchen, in der Zukunft Fehler und Irrtümer auszumerzen. Beides hat Konsequenzen.
    Erst gar nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass man sich geirrt hat, ist mit der anstrengenden Aufgabe verbunden, sich dumm zu stellen oder – wofür es dann eine gewisse Chance gibt – mittel- oder langfristig zu verblöden. Der Irrtum kann aber auch durch Schönfärberei, Lügen und organisierte Kriminalität »aus dem Weg geräumt« werden.
    All diese Strategien erzeugen eine ständig wachsende Anspannung, die zur lähmenden Bewegungsstarre werden kann.
    Oberflächlich betrachtet ist das Ignorieren eine erfolgversprechende Strategie: Wer nichts tut, tut auch nichts Falsches. Doch auch das hat einen hohen Preis.

Ignorieren!
    Es gibt dann nämlich in einer Paarbeziehung, einer Familie, aber auch in Arbeitsgruppen keine klaren Stellungnahmen mehr. Klare Stellungnahmen legen fest; man könnte eines Fehlers überführt werden. Entscheidungen werden aufgeschoben oder umgangen – sie könnten sich ja als falsch erweisen. Wir haben es dann mit unproduktiven Teamsitzungen und Meetings zu tun, in denen viel geschwiegen oder auch viel gelärmt, aber nichts gesagt wird. Soziale Veranstaltungen im Geiste der Null-Fehler-Toleranz werden zu schwarzen Löchern, in denen Zeit, Energie und Kreativität auf Nimmerwiedersehen verschwinden, wo aber nichts herauskommt.
    Taktieren, Uneindeutigkeit oder Vieldeutigkeit kennzeichnen das eigene Verhalten und das der jeweiligen Partner. Dieses Verhalten findet man oft in Situationen mit noch ungeklärter Zukunft – zum Beispiel, wenn eine bestimmte Entwicklungsphase oder auch die Ära eines Vorgesetzten zu Ende geht, ohne dass schon klar ist, wie es weitergehen wird. In einer solchen Phase steht noch nicht fest, was die zukünftigen Kriterien für »richtig« und »falsch« sein werden. Deshalb sagt sich so mancher: Lieber gar nichts tun, ehe man sich die Finger verbrennt! Diese Devise sorgt weder für gute Stimmung, noch bringt sie einen selbst oder andere weiter. Irgendwann ist man nur noch damit beschäftigt, keine Spuren zu hinterlassen, die einen eines Fehlers überführen könnten. Jeder bleibt unter seinen Möglichkeiten, im Denken, im Handeln und besonders in der

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