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Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)

Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)

Titel: Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Retzer
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tatsächlich absurd. Nicht der Umgang mit den Behandlungsfehlern steht im Mittelpunkt des Interesses, sondern die Entschädigung der Opfer, wobei Klinikpatienten den Fond mitfinanzieren sollen. Das wäre dann so, als sollten Flugpassagiere die Entschädigung von Opfern bei Flugzeugabstürzen mitfinanzieren, sozusagen in Vorkasse gehen.
    Vermutlich haben mehr Menschen Angst vor dem Fliegen, als vor dem Gesundheitssystem. Zu Unrecht: Fliegen gehört zu den ungefährlichsten Beschäftigungen überhaupt – statistisch gesehen. Heute passieren im Schnitt bei einer Million Starts nur 0,6 tödliche Unfälle – 1960 waren es noch 40. Die Zahl der Toten schwankte in den vergangenen Jahren weltweit zwischen 200 und 1200 – bei drei Millionen Fluggästen pro Tag oder 1 Milliarde und 95 Millionen Fluggästen pro Jahr.
    Würden in der zivilen Luftfahrt »Kunstfehler« passieren wie im deutschen Gesundheitssystem, müsste es allein im deutschen Luftraum spätestens jeden dritten Tag den Crash eines bis auf den letzten Platz besetzten Airbus 320 geben, bei dem alle Passagiere an Bord ums Leben kämen.
    Was wird also in der Luftfahrt richtig gemacht? Und was im (deutschen) Gesundheitssystem falsch?

Fehler analysieren
    Es gibt einen unübersehbaren Unterschied im Umgang mit tödlichen Fehlern in der Luftfahrt und im Gesundheitswesen: Kein Flugzeugabsturz bleibt verborgen. Die Zahl der Todesopfer bei Flugzeugunglücken steht in allen Medien. Die zivile Luftfahrt ist – im Unterschied zum Gesundheitssystem – unter ständiger Beobachtung, im Unterschied zum Gesundheitssystem auch und gerade dort, wo es lebensgefährlich ist. Fehler im Gesundheitssystem haben es schwer, vermieden zu werden, weil sie keine Beachtung finden. Und ein nicht beachteter Fehler ist ja kein Fehler.
    Was geschieht, wenn dennoch ein Fehler gefunden wird? Der Schuldige muss dingfest gemacht und bestraft werden. Das ist eine sehr archaische Vorstellung. Sie geht davon aus, dass durch die Bestrafung des »Bösen« alles wieder gut gemacht wird. Daran knüpft sich die absurde Idee: So verhindern wir in Zukunft weitere Unfälle! Die Bestrafung des Bösen macht wieder alles gut! Beides trifft natürlich nicht zu: Bestrafung macht nichts wieder gut. Sie führt nur dazu, dass Fehler in Folge noch mehr verschleiert und verheimlicht werden.
    Und wie verhindert man dann Fehler? Die einfache Antwort ist: Sie sind nicht zu verhindern. Fehler sind unvermeidlich. Es gibt nur verschiedene Möglichkeiten, Fehler zu verbergen und zu vertuschen. Die Vorstellungen von Fehlerfreiheit und Null-Fehler-Toleranz sind zum Scheitern verurteilt.
    Was ist stattdessen zu tun? Der erste Schritt ist die Offenlegung. Dieses Ziel wird nicht erreicht, wenn Bestrafung die Konsequenz dafür ist. Deshalb müssen Bedingungen geschaffen werden, in deren Rahmen Fehler ohne juristische oder disziplinarische Konsequenzen offengelegt werden können. So können sie analysiert werden, und nur so wurden sie nicht umsonst gemacht. Erst dann kann man die Frage stellen: Was kann man besser oder anders machen? [96]  

Fehler können klug machen und das Leben verlängern
    Erst wenn wir uns mit Fehlern und Irrtümern auseinandersetzen, eine Fehlerkultur entwickeln, bekommen sie den ihnen angemessenen Stellenwert. Ihr Informationswert und vor allem ihr pragmatischer Wert sind ungleich höher als der Wert des Richtigen.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht
    Es gibt nicht den geringsten Beleg dafür, dass das Leben ernst und fehlerlos sein müsste. Im Gegenteil. Dort, wo es nur noch ernst und fehlerlos zugeht, geht es früher oder später todernst zu. Und das meint ja wohl das Gegenteil von lebendig und lebensfroh.
    Humor ist, wenn man trotzdem lacht, trotz oder wegen unserer Irrtümer und Fehler. Im Humor treten wir einen Schritt zurück, nehmen die ganze Fülle unseres Lebens wahr und machen sie sichtbar. Eine Fülle, zu der unsere Erfolge, aber auch unsere Misserfolge gehören, das, womit wir richtig lagen, aber auch das, wo wir danebenlagen und uns geirrt haben. Wir treten dann der Welt und uns selbst mit einem nachsichtigen, milden Lächeln gegenüber, menschlich eben.
    Das Lachverbot dagegen ist mit einem Wahrheits- und Gewissheitsfundamentalismus verbunden, dass einem das Lachen vergeht. Humor hingegen enthüllt die Welt in ihrer Mehrdeutigkeit und uns Menschen in unserer Begrenztheit und Unfähigkeit, uns nicht zu irren. Humor erzeugt und entspringt dem Sinn für die Absurdität der Forderung

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