Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)
sie um uns herum gesehen werden. Der altbekannte Satz: Was nicht sein darf, das nicht sein kann, muss nun heißen: Was nicht sein darf, das ist nicht!
Die Konsequenzen solchen zustimmenden Gruppendenkens können katastrophal, für soziale Gemeinschaften gefährlich sein. Es kann sehr bedenklich sein, immer so zu denken wie andere. Daher ist es für funktionierende Gruppen, Teams usw. empfehlenswert, der Gefahr des desaströsen Gruppendenkens zu begegnen, indem explizit zu Nichtübereinstimmung ermutigt wird oder Widerspruch außerhalb der Gruppe gesucht wird.
Wenn nur eine der instruierten »Versuchspersonen« begann, die richtige Antwort zu geben, fingen alle tatsächlichen Versuchspersonen an, dies auch zu tun. Es ist also denkbar, dass schon ein einziger »Dissident« die Wahrnehmungsstörung einer ganzen Gemeinschaft stören kann. Zweifel und Widerspruch können zu einer Art Infektion werden, die den zerstörerischen Gemeinschaftsglauben in Frage stellt oder aufhebt. Dafür braucht es noch nicht einmal eine besondere Qualifikation. Es kann kinderleicht sein, wie es uns schon in Hans Christian Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern erzählt wird.
Will man also etwas Sinnvolles tun, sollte man diejenigen besuchen, die auf das Reiten von toten Gäulen verzichtet haben, die abgestiegen sind und die nicht unsere Überzeugungen teilen. Dann können wir überprüfen, ob ein Leben nach dem Absteigen überhaupt möglich ist und wie das aussehen und geführt werden kann. Ob man sich dadurch bewegen lässt, vom toten Gaul abzusteigen, ist aber auch dann noch eine offene Frage. Aber immerhin: eine offene Frage.
Man redet uns nur ein, der Gaul sei tot!
Das Festhalten an überlebten Überzeugungen gelingt ziemlich gut, wenn man überzeugt ist, die Lage so wahrzunehmen, wie sie wirklich ist. Andere, wenn sie denn vernünftig sind, müssen selbstverständlich die Dinge genauso sehen wie wir. Sehen oder bewerten sie die Situation anders, dann liegen sie eben schlicht und einfach falsch.
Die Ignoranz der anderen: Wenn wir der Überzeugung sind, dass unsere eigenen Glaubenssätze auf Fakten basieren, dann können andere Menschen, die nicht mit uns übereinstimmen, nicht die richtigen Informationen haben und sind daher bedauerlicherweise faktisch nicht auf der gleichen Höhe wie wir. Und wenn wir ihre Ansichten nicht teilen können oder wollen oder für falsch halten und zurückweisen, dann deshalb, weil wir über das richtige Faktenwissen verfügen.
Die Voreingenommenheit der anderen: Wenn andere Menschen Zugang zu den gleichen Informationen haben wie wir und sich trotzdem weigern, diese zu berücksichtigen oder anzuerkennen, müssen sie voreingenommen sein.
Die Bösartigkeit der anderen: Wenn die anderen weder ignorant in Bezug auf die Wahrheit sind, noch sich voreingenommen weigern sie anzuerkennen, dann sind sie bösartig, wenn sie nicht mit unserem Glaubenssystem übereinstimmen. Wenn der andere böse ist, fällt es leicht, an den eigenen Überzeugungen festzuhalten und sie zu rechtfertigen.
Der Wahnsinn der anderen: Schließlich bleibt noch ein letztes Mittel. Menschen, die mit unseren Überzeugungen nicht übereinstimmen, sind nicht ganz dicht. Sie müssen krank sein!
Stolz, Selbsteingenommenheit und Selbstrechtfertigung sind der Klebstoff, der uns im Sattel des toten Gauls festhält. Sie sind die Wegmarken auf unserer Reise in die Regionen der miesesten Stimmungen, seien es Überforderung, Burn-out oder Depression.
Wir »frisieren« die Vergangenheit!
Sobald wir uns eine feste Überzeugung oder Story zu eigen gemacht haben, verändern wir nicht nur die gegenwärtig uns zur Verfügung stehenden Informationen so, dass sie zu unseren Überzeugungen passen, sondern wir verändern auch die Vergangenheit, das heißt das, was wir – uns erinnernd – für die Vergangenheit halten. Unsere Überzeugungen bekommen eine feste »historische« Grundlage. Erinnerungen werden so revidiert und die eigene Überzeugung gestärkt.
Auf dem Wege der »nachbessernden« Selbstrechtfertigung wird jede Ungewissheit oder Ambivalenz ausgeräumt. Aus dem Zweifel, ob der Gaul vielleicht doch tot ist, wird die Sicherheit, dass er zwar lahmen mag, aber leibt und lebt.
Wir spannen mehrere tote Gäule zusammen, damit sie schneller werden! (Synergie)
Es ist schon anstrengend, einen einzigen Glaubenssatz aufrechtzuerhalten, wenn das Leben ständig sein Veto einlegt. Aber vielleicht ließe sich ja durch die Vernetzung mehrerer
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