Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)
Erfahrungen, die nicht mehr zu unseren Vorstellungen passen, dann können diese Erfahrungen traumatisieren. Besonders traumatisierungssensibel sind Menschen, die die Vorstellungen entwickelt haben, sich nur auf sich selbst verlassen zu können und dabei der Ansicht sind, ein großes Maß an Kontrolle über das eigene Leben oder die Welt zu haben.
Annahmen über andere sind Vorstellungen über die Berechenbarkeit, Vorhersagbarkeit und Zuverlässigkeit anderer. Hier sind die Menschen besonders traumatisierungssensibel, die besonders hingebungsvoll vertrauen und sich vorbehaltlos auf andere verlassen.
Annahmen über die Welt. Hier sind Menschen besonders traumatisierungssensibel, die einen stabilen, rational logischen Weltfilter für sich entwickelt haben, die davon ausgehen, dass es in der Welt berechenbar zugeht oder die an eine ausgleichende Gerechtigkeit glauben. Menschen also, die einen Filter benutzen, der auf Vorstellungen von Fairness, Gerechtigkeit, Logik und Ordnung basiert.
In der traumatisierenden Erfahrung brechen diese Filter zusammen.
Posttraumatische Möglichkeiten
Welche Möglichkeiten gibt es, mit solchen umstürzenden Erfahrungen umzugehen? Wie kann die Welt aufs Neue gefiltert werden? Nie mehr? Durch neue Filter? Mit Hilfe von Verlusttröstungen wie Alkohol, Drogen, Mitleid, Therapie …?
Eine Möglichkeit: Alles soll wieder so werden, wie es einmal war!
Eine weitverbreitete posttraumatische Maßnahme ist die Anstrengung, es wieder so werden zu lassen, wie es vor dem Trauma war. Das Ziel: eine völlige Wiederherstellung des früheren Zustandes. Einige therapeutische Maßnahmen (Traumatherapien) haben dieses Ziel. Die Verarbeitung des Traumas ist der Versuch der Wiederherstellung und Reparatur des alten Filters. Begleitet werden diese Versuche der Rückkehr zu den unbrauchbar gewordenen Filtern und Lebenskonzepten durch oft billige Tröstungen: Man solle doch dankbar sein, überlebt zu haben, man solle doch einsehen, dass man in dieser Welt weiterhin Halt haben könne. Man solle sich wieder zum alten Vertrauen durchringen, an sich selbst und die eigene Selbstwirksamkeit glauben.
Die psychiatrisch-diagnostische Legitimation für solche von Traumatherapeuten oftmals im Eigenauftrag erbrachte Dienstleistungen stellt die »moderne« Diagnose sogenannter posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) dar. Unter posttraumatischen Belastungsstörungen werden Phänomene zusammengefasst, die nach einer traumatischen Erfahrung erlebt werden können, aber keinesfalls zwingend erlebt werden müssen.
Der posttraumatische Erinnerungsdruck
Menschen können sich einem massiven Erinnerungsdruck an die traumatische Erfahrung ausgesetzt sehen. Es stellt sich ein Erinnern an Bilder, Geräusche, Gerüche der Traumasituation ein. Man empfindet und erlebt sich so, als befinde man sich weiterhin in der traumatisierenden Situation. Man fühlt sich von diesen Eindrücken überflutet. Abschalten erscheint nicht möglich. Menschen, die sich emotional und gedanklich in der traumatischen Vergangenheit befinden, verlieren dadurch die Möglichkeit, in der Gegenwart zu leben. Das kann zur Folge haben, dass sich der Traumatisierte und seine Angehörigen in zwei verschiedenen Zeitzonen aufhalten: Der Traumatisierte befindet sich in der Vergangenheit, während sich die anderen mit der Gegenwart und Zukunft beschäftigen. Alle fühlen sich aber wechselseitig nicht geachtet, beachtet und gewürdigt, weil ihr Erleben permanent heruntergespielt wird. Was nicht gelingt: mit der Vergangenheit zu leben, ohne ihr Gefangener zu sein; sich zu erinnern und sich der Gegenwart und Zukunft zuzuwenden.
Die posttraumatische Vermeidung
Menschen können aber auch ausschließlich mit der Vermeidung von Erinnerungen an die traumatisierte Vergangenheit beschäftigt sein. Sie versuchen sich mit Gewalt von der Vergangenheit zu lösen, sie nicht zu sehen, so zu tun, als sei alles nach wie vor wie immer, d.h. normal. Der Preis, der für diese anstrengende Vermeidung zu zahlen ist, kann eine emotionale Taubheit sein. Mit eigenen Emotionen und denen von anderen kann nicht mehr angemessen umgegangen werden. Der traumatisierte Mensch ist emotional nicht verfügbar, er beschäftigt sich nur noch mit sich selbst, hört nicht mehr zu, verschanzt sich, verschwindet plötzlich aus dem Haus, während die anderen Schuldgefühle entwickeln. Die Traumatisierten nehmen nicht mehr ihre frühere Rolle ein (als Vater, Mutter …), verweigern die Teilnahme an
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