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Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)

Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)

Titel: Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Retzer
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und Staatskrisen. Doch auch abgesehen von Katastrophen und Ereignissen, die ganze Länder, Bevölkerungen oder gesellschaftliche Gruppierungen betreffen, gibt es im Leben Einzelner Ereignisse, die als traumatisierend erfahren werden können – der Verlust des Arbeitsplatzes, eine Scheidung, Missbrauch und andere Formen von Gewalteinwirkung. Vor allem auf die Folgen solcher individuellen Traumatisierungen wollen wir im Folgenden unser Augenmerk richten.
    Was aber ist eigentlich ein Trauma? Wie erklären sich die damit einhergehenden Stimmungen? Wie werden diese Stimmungen nachhaltig? Was machen Katastrophen mit uns, und was können wir aus Katastrophen machen?

Was ist ein Trauma?
    Ereignisse wirken sich unterschiedlich auf Menschen aus. Nicht alles, was der eine als traumatisch empfindet, wird auch von allen anderen so erlebt. Damit etwas als traumatisch erfahren wird, braucht es dreierlei: einen Menschen, seine Vorstellungen über sich, die Welt und das Leben und eine Erfahrung, die nicht zu seinen Annahmen passt.
    Passen Erfahrungen nicht mehr zu den eigenen Überzeugungen, dann geschieht etwas, was nicht für möglich gehalten wurde, etwas Unvorstellbares. Eine Erwartung wird enttäuscht. Wird das Unvorstellbare positiv gewertet, also etwa die überraschende Genesung von einer als unheilbar diagnostizierten Krankheit, haben wir es mit einem Wunder zu tun. Ist das nicht für möglich gehaltene Ereignis negativer Art, wird es als Trauma empfunden. Traumata sind also negative Wunder, und Wunder sind positive Traumata.
    Traumata sind Erfahrungen, die Vorstellungen verletzen oder, besser gesagt, zusammenbrechen lassen. Unsere Vorstellungen sind so etwas wie ein Filter, den wir zwischen uns und die Welt schieben. Vorstellungen helfen uns und sind notwendig, damit wir uns in der Welt orientieren und einigermaßen zurechtfinden können. Die Welt ist uns direkt, ohne jeden Filter, gar nicht zugänglich – wir brauchen das schützende Raster unserer Vorstellungen, so, wie wir auch nicht direkt und ungeschützt in die Sonne schauen sollten, da wir sonst unsere Sehkraft einbüßen.
    Der Filter der von uns entwickelten Annahmen ist nicht per se richtig oder falsch. Überzeugungen sind solange brauchbar und gut, solange sie nicht allzu sehr unseren Erfahrungen widersprechen. Das, was wir erfahren, entspricht dann unseren Annahmen über die Wirklichkeit: Die Landschaft entspricht der verwendeten Landkarte. Die Speisen entsprechen der uns gereichten Speisekarte. Unsere Vorstellungen von der Welt und unserem Leben sind aber nicht eins zu eins die Welt. Das Leben kann sein Veto gegen unsere Vorstellungen einlegen. Wenn das Leben das tut, erfahren wir etwas über die Begrenztheit unserer Vorstellungen. Wir kommen mit unseren Vorstellungen und Annahmen nicht mehr weiter. Wenn wir auf einer Autobahn nicht mehr weiterfahren können, weil der Tank unseres Autos leer ist, bedeutet das ja keineswegs zwingend, dass auch die Autobahn an dieser Stelle zu Ende ist. Uns ist nur das Benzin ausgegangen.
    Machen wir neue, bisher unbekannte Erfahrungen, können oder müssen wir unsere Vorstellungen und Annahmen verändern und an unsere Erfahrungen anpassen. Wenn wir das nicht tun, handeln wir uns nachhaltige Probleme und dauerhaft katastrophale Stimmungen ein.

Traumatisches Erleben und Erzählen
    Wenn wir ein Trauma erleben und davon erzählen, erzählen wir von Katastrophen: »Es ist nichts mehr so wie vorher – Ich habe den Boden unter den Füßen verloren – Für mich ist eine Welt zusammengebrochen – Es war unvorstellbar, ich habe das nicht für möglich gehalten – Es verschlägt mir die Sprache – Ich kann es nicht fassen – Nein, das kann nicht sein, das ist unmöglich – Alles was bisher galt, gilt nicht mehr – Ich habe keinen Platz mehr in der Welt.«
    In diesen Aussagen drückt sich die traumatische Erfahrung aus. Unsere Wahrnehmung, unsere Konzepte, unsere Drehbücher, unsere Deutungsschemata und unsere Annahmen über uns und die Welt funktionieren nicht mehr. Der Filter unserer Vorstellungen ist durchlöchert, zerstört oder zusammengebrochen. Wir fühlen uns der Welt schutzlos ausgeliefert. Zu unseren Vorstellungen gehören Annahmen über uns selbst, über andere und den Zustand der Welt:

    Annahmen über uns selbst können Vorstellungen sein über das Ausmaß unserer Selbstbestimmung, über unsere Kontrollkompetenzen, über die Verlässlichkeit unserer Urteile, unserer Fähigkeiten und Talente. Machen wir nun

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