Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)
Glaubenssätze noch etwas retten. Man könnte beispielsweise Folgendes tun: Die Überzeugung »Für mich ist alles machbar!«, die nur unter großer Mühe aufrechtzuerhalten ist, wird mit der Überzeugung »Ich muss beliebt sein, und mein Wert hängt von meiner Beliebtheit ab!« verbunden. Aber dann stellen sich weitere Fragen: Wie bekomme ich das hin? Was muss ich tun, um beliebt zu sein? Was muss ich tun, wenn ich nicht beliebt bin, weil jemand herausgefunden hat, dass für mich doch nicht alles machbar ist? Eine weitere Überzeugung verspricht die Rettung: »Ich darf mir nichts anmerken lassen!« Jetzt habe ich es geschafft: Die drei toten Gäule sind zusammengespannt. Ich brauche nicht von einem toten Gaul abzusteigen, sondern kann sogar die toten Pferde wechseln. Auch wenn ich dabei nicht von der Stelle komme und dafür in gestrecktem Galopp in die unangenehmste Stimmung hineingaloppiere. Je länger das so geht, umso unwahrscheinlicher wird das Absteigen. Es erscheint geradezu waghalsig, dies zu tun. Also weiter: Nur nichts anmerken lassen!
Wir entwickeln eine sehr enge, intime Beziehung zu unserem toten Gaul!
Neben den Rechtfertigungsstrategien, die es Tätern ermöglicht, ihre moralischen Überzeugungen beizubehalten, sind sie am Vergessen interessiert: Vergessen wir’s! Ganz anders die Opfer, das heißt die Menschen, die sich selbst als Opfer bezeichnen, weil jemand gegen ihre eigenen Vorstellungen von Moral verstoßen hat. Opfer leiden selten an Vergesslichkeit. Sie erklären sich selbst und anderen, welche anhaltend negativen Folgen ihre Erfahrungen haben. Sie halten Gedanken an das ihnen zugefügte Unrecht lange aufrecht. Gefühle des Hasses werden kultiviert und stabilisiert. Zu hassen erscheint diesen Menschen wie eine Bestrafung des Täters. Rache ist der Versuch, Gerechtigkeit herzustellen. So leben nicht wenige Ehepaare nach der Scheidung den intimsten Teil ihrer Paarbeziehung. Verbunden durch Rachefeldzüge, wollen sie nicht voneinander lassen. Die Opfer, meist beide Partner, verharren dabei in der immer wieder gestellten quälenden Frage: Wie konnte mir so etwas Schlimmes geschehen, wo ich doch so ein anständiger Mensch bin? Auch dabei werden tote Gäule weitergeritten, auf eine sehr intime Weise, allerdings begleitet von miesester Stimmung.
Tote Gäule zu reiten ist die hohe Schule der Reitkunst!
Mit Stolz und Selbsteingenommenheit schafft man es, das Reiten von toten Gäulen als eine besondere Qualität darzustellen. Auf lebendigen Gäulen kann schließlich jeder reiten. Halten wir dadurch unsere Überzeugungen und Vorstellungen aufrecht, kann dies den Effekt haben, dass den Reitern toter Gäule eine umfassende und tiefe Beruhigung zuteil wird. Es beruhigt ungemein, wenn man einen Glaubenssatz hat, der Sicherheit verspricht. Allemal mehr, als auf einem wilden, undressierten Hengst durchgeschüttelt zu werden.
Wir besorgen uns eine stärkere Peitsche und entwickeln ein Motivationsprogramm!
Hierbei geht es um Maßnahmen, die einerseits den Gaul zum Laufen bringen und andererseits den Reiter im Sattel halten sollen. Nun kann alles zum Einsatz kommen, was für solche Fälle in Hülle und Fülle zur Verfügung steht. Also: chemische und psychologische Reithilfen. Schließlich ist das Doping ohnehin für den Einsatz bei Pferderennen entwickelt worden. Psychologische Unterstützung kann dem Reiter helfen, nicht vorschnell an das Absteigen zu denken. Lösungs- und zielorientiertes Reitercoaching mit den entsprechenden positiven, Hoffnung vermittelnden Zielsetzungen kann hilfreich sein, den einmal entwickelten Glauben an sich selbst wiederzufinden. Glaubensstärkung kommt dabei überkonfessionell, Methoden und Schulen übergreifend zur Anwendung: Es wird schon wieder werden!!!
Trotzdem sei daran erinnert: Wenn das Leben unsere Vorstellungen nicht bestätigt, sind sie einfach nur falsch.
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Trauma, Katastrophen und das posttraumatische Wachstum
Katastrophen bringen Verzweiflung und traumatische Erfahrungen mit sich. Sei es die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im April 1986 oder von Fukushima im März 2011, der Tsunami im Indischen Pazifik im Dezember 2004 und in Japan im März 2011, das Erdbeben in Haiti im Januar 2010, der Hurrikan Katrina im August 2005. Traumatisch wirken sich aber auch politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Katastrophen aus: Kriege, Vernichtung und Vertreibung, aber auch Ereignisse wie die Weltwirtschaftskrise von 1929 oder die gegenwärtigen Finanz-, Schulden-
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