Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)
Beharrlichkeit können immense Kosten verursachen und sogar die Freiheit kosten.
Bienen sind eine vergleichsweise disziplinierte, sozial aufeinander abgestimmte und »gebildete« Tierart. [109] Sie haben scheinbar eine klare Vorstellung davon, wie sie sich beharrlich in bestimmten Situationen zu verhalten haben. Sperrt man Bienen in eine Flasche, deren Hals offen ist, und legt die Flasche so hin, dass der Flaschenboden auf eine Lichtquelle ausgerichtet ist, suchen die Bienen den Ausgang beharrlich am Flaschenboden, dort wo zwar das Licht, aber kein Ausgang ist. Sie halten sozusagen daran fest, dass dort, wo es hell ist, der Weg nach draußen führt. Sie sterben schließlich vor Hunger und Erschöpfung.
Sperrt man nun ein Anzahl von Fliegen in die Flasche, die genauso positioniert bleibt, fliegen diese Fliegen aufgeregt, undiszipliniert, sozial unabgestimmt und scheinbar ohne Plan und Überzeugung hin und her und finden den Ausgang. Allerdings nicht, weil sie einen richtigen Plan hätten, sondern weil sie keinen falschen haben, an dem sie festhalten können. [110]
Wir halten unserem Gaul die Treue!
Haben wir erst einmal etwas getan, können wir daran oft nichts mehr ändern. Aber wir können das, was geschehen ist, im Nachhinein rechtfertigen und es als das Richtige darstellen. Wir erfinden uns dann Geschichten, die uns nicht irren lassen.
In einem Kaufhaus werden Versuchspersonen aufgefordert, vier verschiedene Variationen einer Strumpfhose miteinander zu vergleichen und diejenige auszuwählen, die sie bevorzugen würden. Nachdem sie ihre Wahl getroffen haben, werden sie gebeten, sie zu begründen. Die vier Strumpfhosen sind völlig identisch. Alle Versuchspersonen finden jedoch bestimmte Merkmale, etwa in der Farbe oder Stoffqualität, die ihre Wahl rechtfertigen. Auch nachdem den Versuchspersonen das Experiment erklärt wurde, bestehen viele darauf, dass die Strumpfhosen nicht identisch seien und ihre Wahl also begründbar und begründet war. [111]
Menschen fällt es anscheinend leichter, Theorien zu entwickeln und sie zu verteidigen, als zu registrieren, dass sie sich geirrt haben. Gewissheit und Irrtum sind unvereinbar. Wenn wir darauf bestehen, irgendetwas zu wissen, dann sagen wir gleichzeitig, dass wir uns nicht irren und nicht falschliegen können. Wir geben vor zu wissen, nicht zu glauben. Wissen lässt sich weniger in Frage stellen als ein Glaube, und glauben ist nicht wissen. Wir denken gerne, dass wir etwas wissen, lieber als dass wir an etwas glauben. Obwohl wir ständig dabei sind, Modelle der Welt zu entwickeln und zu gebrauchen, sind wir weniger oder nie dabei zu realisieren, dass wir es getan haben. Unsere Vorstellungen und Glaubenssysteme erscheinen uns meist nicht konstruiert, sondern eher wie ein Spiegel oder Bild, das die Wahrheit über die Welt richtig abbildet.
Wir gründen eine Untersuchungskommission, um den Gaul zu analysieren!
Glaubensbekenntnisse und Selbstrechtfertigungen werden immer stabiler, wenn man sich der eigenen Überzeugungen auf eine besondere Weise vergewissert. Man wendet eine bestimmte Art der Informationspolitik an: Informationen, die zu den eigenen Überzeugungen passen, werden für nützlich, fundiert, ja überhaupt für beachtens- und bemerkenswert erklärt. Informationen, die nicht zum eigenen Glaubenssystem passen, diesem widersprechen oder es widerlegen, werden gar nicht erst bemerkt, ignoriert oder für falsch, sinnlos oder unwichtig gehalten.
So schaffen wir es, durch die Analyse unserer Überzeugungen an diesen festzuhalten und tote Gäule, nun nach sorgfältiger Analyse, überzeugt weiterzureiten. Je überzeugter wir von unseren Überzeugungen sind, umso aktiver lässt sich die Analyse gestalten. Wir gehen gezielt auf die Suche nach bestätigenden Informationen und biegen uns Informationen so zurecht, dass sie zu unseren Glaubenssätzen passen. Wir glauben nicht, was wir sehen, sondern wir sehen, was wir glauben. Selbst, wenn wir nichts sehen, glauben wir, nein: wissen wir, wie es ist, nämlich richtig und nicht falsch. Das Ergebnis: Unsere verlässlichen Überzeugungen sind noch verlässlicher geworden, so dass noch weniger Anlass besteht, von ihnen abzulassen. Der tote Gaul kann überzeugt weitergeritten werden. Ein manchmal lebensgefährlicher Ritt:
Am 26. März 1997 wurden 39 Tote auf einer Farm im kalifornischen Rancho Santa Fe aufgefunden: Ein Massenselbstmord hatte stattgefunden. Alle Toten waren Anhänger einer Sekte, die sich
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