Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)
Identifikation mit Enke in der massenhaften Anteilnahme im Internet. Fast jeder konnte sich dort mit dem Fußballer identifizieren, weil wahrscheinlich jeder die Angst vor dem Versagen kennt und weiß, wie es ist, sich davon nichts anmerken zu lassen. Vielleicht haben auch viele, die sich hier zu Wort meldeten, selbst schon mit dem Gedanken gespielt sich umzubringen. Robert Enke diente als eine Identifikationsfigur, an der die Kosten des Heldentums deutlich wurden.
Die Tränen galten also nicht in erster Linie Robert Enke, sondern dem eigenen Leiden an der Angst, zu versagen und auf der Strecke zu bleiben, denn: Jeder will ein Held sein und eine Heldentat vollbringen!
Aber gehen wir noch einmal zu Robert Enke selbst zurück. Wie für viele andere galt auch für ihn: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel! Sechs Tage nach dem Tod seiner Tochter Lara [12] , für den Robert Enke sich die Schuld gab, zwingt er sich, wieder im Tor zu stehen. Er glaubt, je länger er aussetzt, desto schwieriger könnte die Rückkehr sein. Zu groß ist die Angst, die Angst vor der Schmach einer Niederlage. Und nichts kann diese Angst besiegen. Im Gegenteil: Jeder Erfolg lässt die Angst vor dem Absturz sogar wachsen. Denn die Fallhöhe nimmt beim Aufstieg auf der Erfolgsleiter zu. Bis man sich dann irgendwann selbst verliert, wie es der Skispringer Sven Hannawald in einem Interview ausdrückte: Plötzlich fehlte mir das Gefühl für mich selbst, war kein Selbstvertrauen mehr da. Der Tennis-Star Andre Agassi beschreibt in einem Interview etwas Ähnliches: Es war das falsche Leben. Ich hatte Angst vor der Niederlage, vor Spott, vor der Öffentlichkeit und vor meinem Vater. Agassis Durchhalte-Therapie bestand in dem Aufputschmittel Methamphetamin.
Nein, es ist kein Honigschlecken, als Held durchs Leben zu gehen. Aber es gibt genug Ratschläge und aufmunternde Durchhalteparolen. Eine der verbreitetsten ist die Aufforderung, sich Zweifel, Ängste und Befürchtungen nicht anmerken zu lassen. Ein Lösungsvorschlag, der schnell zum Problem wird und noch mehr belastet. Robert Enkes Frau Teresa weiß davon ein Lied zu singen. Nach dem Tod ihres Mannes sprach sie darüber.
Die Parole des Geheimhaltens und die Aufforderung, sich nichts anmerken zu lassen, kommen aber an und werden vielfach umgesetzt, nicht nur im Sport und nicht nur beim Fußball. Aber eben dort auch. Wie sonst wäre zu erklären, dass es in den Reihen von 18 Bundesligavereinen keinen einzigen homosexuellen Spieler geben soll? Ebenso merkwürdig, wie statistisch unwahrscheinlich. Aber: Helden sind eben nicht schwul! [13]
Auch Fachleute beteiligen sich an den Durchhalteappellen, so etwa aus Anlass des Todes von Robert Enke in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung : »Außerdem können Familienmitglieder das Durchhaltevermögen stärken, den Betroffenen motivieren, am Ball zu bleiben.« [14] Robert Enke wird in dieser Hinsicht geradezu als vorbildlich beschrieben, als einer der zwar immer wieder Rückschläge erlebte, aber aus jedem Schicksalsschlag Energie geschöpft und seinen Weg unbeirrt fortgesetzt habe. Einer also, der wie empfohlen am Ball blieb.
Weit verbreitet ist auch der Ratschlag, nach einem erschütternden Ereignis so schnell wie möglich zum Tagesgeschäft zurückzukehren. Eine weitere verbreitete Maßnahme ist der schnelle Übergang zum Zustand, wie er vorher war. Bundestrainer Jogi Löw gab denn auch schon kurz nach der Trauerfeier die Richtung vor: Wir müssen alles tun, um zur Normalität zurückzukehren. Löw steht mit dieser Aufforderung keineswegs allein. George W. Bush forderte seine Landsleute nach dem 11. September 2001 auf, möglichst bald wieder einkaufen, ins Kino und zu Baseball-Spielen zu gehen.
Heldentod in Wirtschaftskreisen
Weniger Anteilnahme gab es dagegen ein paar Monate vorher, obwohl der prominente Trauerfall ähnlich überraschend eintrat und der Tod auf fast identische Weise gesucht wurde wie von Robert Enke.
Am 5. Januar 2009 warf sich Adolf Merckle, laut Wirtschaftsmagazin Forbes mit 9,2 Milliarden Dollar geschätztem Vermögen der fünfreichste Deutsche, im Blaubeurer Ortsteil Weiler im schwäbischen Süden der Republik ebenfalls vor einen Nahverkehrszug.
Adolf Merckle war ein bescheidener Mann. Er soll bei Reisen mit der Bundesbahn immer in der zweiten Klasse gefahren sein. Er war aber auch ein erstaunlicher Wirtschaftsheld. Er schuf als Selfmademan ein gigantisches Firmenimperium, das er weitgehend allein kontrollierte. Seine
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