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Milas Lied

Milas Lied

Titel: Milas Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Keil
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Kopf.
    Mein Magen brannte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.
    Ich starrte Mila an, die reglos in meiner Hängematte lag wie eine große Puppe. Die vollkommene Ruhe, die sie ausstrahlte, machte mir Angst.
    »Kann ich heute Nacht hierbleiben?«, fragte sie.

Ihr Bett ist…
    Ihr Bett ist ein schönes Versteck. Es riecht selbst gebaut. Mit der Fußspitze taste ich nach den Holzstreben. Sie sind rau. Ich erfühle eine kühle große Schraube.
    Ich wollte im Schlafsack schlafen. Sie ließ mich nicht. Nun liege ich unter einer weichen Decke in einem Meer aus kleinen Blumen. Sie duften nach zu viel Waschmittel.
    Eine kleine Lampe brennt und summt. Sie liest neben mir. Sie versucht, die Seiten sehr leise umzublättern. Sie denkt, ich schlafe. Das Rascheln beruhigt mich.
    Früher hat Mamotschka mir zum Einschlafen immer vorgelesen. Aus Kolobok . Als ich lesen konnte, haben wir getauscht. Ich habe ihr Märchen vorgelesen und sie ist an meinem Bett eingeschlafen. Ich kam mir sehr erwachsen vor.
    Das Fenster steht offen. Es ist warm. Ich höre Bässe. Irgendwo spielt Musik.
    In der Stille reißt ein Sturm die Gedanken fort. Hinab in einen bösen, dunklen, stillen See. Darin lebt nichts. Auf dem Grund treibt ein totes Gewächs aus dürren schwarzen Schlingen.

Aus einer Nacht…
    Aus einer Nacht wurden zwei, drei, vier. Ich hörte auf zu zählen. Und ich überließ Mila irgendwann mit Theos brummigem Einverständnis unseren dritten Haustürschlüssel. Theo war kaum noch da. Ich wusste, dass zwischen seiner Ab- und Milas Anwesenheit ein Zusammenhang bestand, wollte dem Ganzen aber nicht weiter nachgehen.
    Theo ließ Mila bei uns wohne n – denn genau genommen tat sie das j a – und das war für mich die Hauptsache. Und er stellte keine Fragen, was mindestens genauso wichtig war, denn Mila hatte mir ein stattliches Versprechen abgerungen: Theo nicht zu verraten, dass er ein Mädchen beherbergte, das eigentlich gar nicht mehr hier sein durfte.
    Ich fragte mich oft, ob es richtig war, was ich tat, und wie ich die ständige Sorge abschütteln konnte.
    Es war nicht allein der Gedanke daran, dass die Polizei Mila vielleicht erwischen könnte, der mir Kopfzerbrechen bereitete, es war auch der Nachgeschmack jenes Abends, an dem sie zurückgekommen war, der mich immer wieder einholte.
    Mila hatte anders gewirkt, irgendwie traurig. Und natürlich wollte sie nicht mit mir darüber sprechen. Ich musste also hinnehmen, dass mit Mila auch jede Menge neuer Geheimnisse bei mir einzogen.
    Aber Mila blühte schnell wieder auf. Im Gegensatz zu mir wurde sie von Tag zu Tag unbeschwerter, vielleicht war sie auch einfach eine grandiose Schauspielerin. Ich gewöhnte mich allmählich an meine innere Unruhe und nahm sie irgendwann kaum noch wahr. Außerdem gefiel ich mir in der Rolle der Mitverschwörerin.
    Ich war heilfroh, dass Mila mich überredet hatte, meinen Schlafsack einzupacken. Ich lag neben ihr in einem Liegestuhl unter freiem Himmel und stopfte Popcorn in mich hinein. Freiluftkino und Tarantino waren meine Idee gewesen, aber ohne meinen dicken Schlafsack wäre ich wahrscheinlich spätestens nach dem Vorspann erfroren. Meine grüne Fleecedecke mit Schäfchen und Kleeblättern drauf hatte ich mir auch umgewickelt. Hannah hatte sie mir geschickt. Es waren irische Schäfchen, »selbst entführt von Hannah Grabowski«, wie die beiliegende Karte mir mitteilte. Vielleicht hatte ich ja doch noch eine beste Freundin.
    Mila schlürfte neben mir lautstark ihre Holunderlimonade. Sie hatte sich den Schlafsack bis zum Kinn gezogen und über die Ohren ihre rote Wollmütze, für die ich sie erst ausgelacht hatte und um die ich sie jetzt beneidete. Auf ihrem Bauch lag eine Papiertüte mit Lakritzschnecken und Gummitierchen, die Hälfte hatte sie schon um ihren Liegestuhl verstreut. Mindestens eine Viertelstunde hatte Mila im Laden gebraucht, um sich endlich für ein paar gelbe und rote Dinosaurier, Ringelwürmer, Colafläschchen, saure Kirschen und eine Handvoll Lakritzschnecken zu entscheiden. Strahlend vor Stolz ging sie schließlich mit ihrer Tüte zur Kasse, aber der Verkäufer verzog keine Miene. Ich musste schmunzeln, als ich daran dachte. Jetzt wickelte Mila versonnen eine ihrer Lakritzschnecken au f – das Ding war bestimmt einen halben Meter lan g – und steckte sich ein Ende in den Mund.
    Ich ließ meinen Blick über die Reihen von Liegestühlen wandern, in denen leise schwatzend die Kinobesucher saßen, wie wir in Decken und Schlafsäcke

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