Milchblume
zwischen den Beinen war sie schlimm geschwollen.
Jetzt erst begriff der Bursche. Tränen schossen ihm in die Augen. Und mit einem Ruck wurde er hart wie Stein. Der Krampf zwang seine Arme in die Höhe, dicht vor sein Gesicht. Finger, Hände und Unterarme spannten sich unkontrolliert nach innen. Eine willenlose Marionette war Jakob jetzt, und aus der Ferne riss jemand ungestüm an den Schnüren. Gefangen war er, in seinem hart gewordenen Körper.
Etwa eine Stunde später fand er sich am Küchentisch des Huber-Bauern wieder. Ihm gegenüber saßen der Bauer und seine Frau. Vor ihm stand ein dickwandiges Glas mit Milch. Jakob konnte seine Arme wieder bewegen. Seine Hände ruhten auf den Oberschenkeln.
In der Stube war es still. Als Jakob seinen Kopf hob, sah er, dass sich die Lippen des Huber-Bauern bewegten.
»Sag mir, ob du es warst«, wiederholte der Bauer. Dann entstand eine Pause. Jakob war, als würde die Luft flimmern im Raum.
»Nein«, antwortete er, als sein Gehirn die Frage verarbeitet und verstanden hatte. »Nein, ich war es nicht.«
Müde sah der Bauer den Burschen an. »Gut, ich glaube dir.«
»Darfst die Milch da trinken«, sagte die Bäuerin.
Jakob nickte. Schluckweise trank er von der zimmerwarmen, fetten Milch. Sie war von der Lieblingskuh des Huber-Bauern, von Liesl. Der Bauer selbst hatte am Vorabend Hand an sie gelegt, sie gemolken, ein letztes Mal.
»Wir haben überhaupt nichts gehört«, rätselte die Bäuerin und wog den Kopf. »Die Viecher müssen doch geschrien haben vor Schmerzen.«
»Die meisten Tiere leiden still«, sagte Jakob leise.
Nach ihm waren es die Fahrenden, die verdächtigt wurden. Fabio, ihr Familienoberhaupt, hörte sich die Anschuldigungen ruhig an. Dann erbat er sich vom Huber-Bauern etwas Geduld. Er solle bitte warten, gleich werde er wieder bei ihm sein. Fabio, dessen stets stolze Haltung seinen Anzug weniger abgetragen erscheinen ließ, als er es war, und dessen elegante Bewegungen sein fortgeschrittenes Alter kaschierten, schlüpfte ins Innere des Wagens. Die umstehenden Bauern hörten ihn in der fremden Sprache der Fahrenden zu seiner Familie sprechen. Nach einer Weile sahen sie einander schulterzuckend und kopfschüttelnd an, denn der Mann redete in heftigem Ton, und viel länger, als ihnen nötig schien. Niemand freilich ahnte, woran das lag. Es lag daran, dass sich der Anführer der Sippe in aller Ausführlichkeit und Leidenschaft ausließ. Über die Bauern ausließ. In für sie unverständlicher Sprache. »Schon wieder!«, rief er. »Wie im letzten Dorf. Irgendeiner von diesen Primitivlingen hat eine Kuh geschnackselt, und jetzt wollen sie es auf uns schieben. Degenerierte Inzüchtler sind das, alle miteinander. Verfluchte Bauernschädel! Gestraft sind wir, mit ihnen zu tun zu haben.« Keine Sekunde hingegen gab sich der Fahrende damit ab, seine Söhne zu befragen, ob einer von ihnen der Kuhschänder gewesen sei.
Vor dem Planwagen warteten indes die Huber-Bauersleute sowie der Seifritz-Bauer, seine Frau und dessen Söhne Hans, Fritz und Jakob. Endlich verstummte Fabios Rede. Die Bauersleute hatten kein Wort von dem verstanden, was im Wohnwagen palavert worden war. Mit feierlicher Miene klappte Fabio die Plane zurück. So elegant und vornehm das Familienoberhaupt den Wagen bestiegen hatte, so elegant und vornehm stieg er nun wieder herab. Er ging auf den Huber-Bauern zu, stellte sich ihm gegenüber. »Huber-Bauer«, begann er. »Wir kennen uns nun schon viele Winter. Ich und meine Familie schätzen dich sehr. Lass mich dir versichern, wir ahnen den Schmerz, der dir angetan wurde und die Wut, die in dir ist. Aber niemand von meiner Familie ist schuld an deinem Leid, darauf gebe ich dir mein Wort.«
»War ja nicht anders zu erwarten«, sagte die Huber-Bäuerin abfällig, und wandte sich zum Gehen.
»Als Zeichen unseres Mitgefühls laden wir euch heute Abend zu Essen und Wein«, fuhr der Fahrende fort. »Und wenn ihr wollt, wird euch meine Mutter die Karten legen. Vielleicht wissen ja sie, wer es gewesen ist.«
»Die haben Dreck am Stecken«, sagte der Seifritz-Bauer zum Huber-Bauern, nachdem sie den Stadel verlassen hatten. »Warum würden sie dich sonst zum Essen einladen, die haben doch ein schlechtes Gewissen.«
»Nicht jeder ist schlecht, der Gutes tut«, hörte sich Jakob sagen. Gleich darauf spürte er den Handrücken des Seifritz-Bauern brennend über sein Gesicht fahren.
»Außerdem kannst du dir sicher sein, dass sie uns heut noch ein Hendl
Weitere Kostenlose Bücher