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Milchblume

Milchblume

Titel: Milchblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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des Feuers war die Herz Neun zu erkennen.
    Die Alte sah auf, atmete tief durch, und dann sagte sie zum Huber-Bauern: »Du musst nicht weit gehen, nicht weit, um den Täter zu finden, nicht weit.«
    Daraufhin wiederholte sie das Schauspiel, rührte die Karten, beschwor durch Namensrufung die Hilfe der toten Kuh und wählte schließlich nach einem ohrenbetäubenden »Liiiiisl!« eine der Karten, zog sie dicht an ihre Augen und – blieb stumm.
    Die anderen bemerkten, dass die Karte in ihrer bisher so sicheren Hand zu zittern begann.
    »Die Karte gibt keine genaue Auskunft«, sagte sie, plötzlich schlicht und ohne jede Dramatik. Das Schicksal lasse sich nun einmal nicht gern über die Schulter schauen. Und sie könne dem Huber-Bauern nur das sagen, was sie ihm bereits gesagt habe, nämlich dass er nicht weit gehen müsse, um den Täter zu finden, nicht weit. Dann schmiss Mara die Karte ins Feuer. Mit der Symbolseite nach unten glitt sie in die Glut.
    ***
    Im November hat der starke Nordwind für eisige Kälte gesorgt. Beim Kirchgang haben die Männer ihre Hüte am Kopf festhalten müssen. Sonst hätten die Sturmböen sie geholt und über die krustig gefrorenen Felder gewirbelt.
    Der Huber-Bauer war so in Gedanken, dass er seinen Hut auch noch festgehalten hat, als er schon in die Kirche eingetreten ist. Und der Pfarrer, der wie immer beim Eingang gestanden ist, um die Leute zu mustern, hat sich teuflisch aufgeregt darüber. »Nimm gefälligst den Hut ab, wenn ich dir den Segen gebe«, hat er gezischt. Der Huber-Bauer ist zusammengezuckt. Seine Unhöflichkeit hat er gar nicht bemerkt. Weil der Pfarrer aber in dem Ton mit ihm geredet hat, hat er den Hut erst recht aufbehalten, kurz nachgedacht und dann gebellt: »Wenn dein depperter Segen nicht einmal durch den Hut geht, ist er sowieso nix wert.«
    Ich habe das gut gefunden vom Huber-Bauern. Er war nicht so scheinheilig wie alle anderen. Aus Trotz hat er als Einziger in der Kirche seinen Hut aufbehalten, die ganze Messe über. Alle rundherum haben ihn deswegen mit ihren Blicken durchbohrt. Und seine Frau hat ihm immer wieder was zugewispert und ihn in die Rippen gestoßen. Aber er hat durchgehalten. Obwohl seine Ohren unter der Krempe feuerrot geleuchtet haben.
    Der Pfarrer hat die ganze Messe lang über sein Lieblingsthema geredet. Die Sünde. Er hat Dutzende Stellen in der Bibel gefunden, die über die Sünde Auskunft geben, und am Schluss hat er von der toten Kuh im Stall des Huber-Bauern zu reden begonnen. Schwere Sünde sei begangen worden, hat er geschimpft, denn die Unzucht mit Tieren sei streng, streng verboten, und das Zu-Tode-Quälen, auch von tierischem Leben, nicht recht. Obgleich, hat der Pfarrer gesagt, obgleich auch die Kuh Sünde auf sich geladen haben müsse, denn sonst hätte der Herrgott sie nicht derart streng bestraft. »Oh ja!«, rief der Pfarrer und dabei hat er seinen Zeigefinger in die kalte Kirchenluft gestoßen, »Gottes Strafe kann furchtbar sein!« Und wir alle sollten uns nur ja hüten vor bösen Gedanken, Worten und Taten. »Amen.«
    Ich habe überlegt, welche bösen Gedanken die Kuh gehabt haben könnte, Worte und Taten sind bei Liesl ja nicht in Frage gekommen. Schließlich habe ich nicht anders können, als zu finden, dass Gott ziemlich kleinlich sein muss, wenn er so streng ist. Gleich darauf habe ich ein furchtbar schlechtes Gewissen bekommen wegen meiner Gedanken. Genau solche gotteslästerlichen Ideen wird der Pfarrer gemeint haben, ist mir eingeschossen, und ich habe versucht, sie zu verscheuchen. Aber es ist nicht gegangen.
    Die Strafe Gottes hat nicht lange auf sich warten lassen. Beim Nachhausegehen haben mich die Lagler-Buben Kurt und Franz in die Zange genommen. Sie haben ihre Arme um meine Schultern gelegt, ganz so, als seien wir Freunde. Aber ich und sie und alle rundherum haben gewusst, dass wir keine Freunde waren. Trotzdem, bis auf Silvia war meine Lage allen völlig gleichgültig. Und Silvia ist vom Seifritz-Bauern rasch am Oberarm genommen worden, als sie sich mit besorgtem Gesicht nach mir umgedreht hat. Kurt und Franz haben mich mit immer langsamerem Schritt geführt, und als alle anderen außer Reichweite waren, sind sie mit mir in einen schmalen Waldweg eingebogen und haben mich gegen einen Baumstamm gedrückt. Das alles hat mich nicht überrascht, ich habe auch keine Angst gehabt. Ich habe geglaubt, dass sie mir einfach wieder einmal eine Abreibung verpassen wollen, und mich darauf gefasst gemacht. Bis Kurt, der

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