Milchblume
gesagt: »So, jetzt könnt ihr die Sau ausnehmen.«
Die Mutter hat sich geärgert, weil sie ausgerechnet noch spät am Heilig Abend die Susi hat ausnehmen müssen. Aber wenn wir gewartet hätten, wäre ihr Fleisch vielleicht schlecht geworden. Die Susi hat sicher zweihundertfünfzig Kilo gewogen, das haben wir geschätzt, weil Mutter fast fünfundzwanzig Kilo Schweinsfett hat auslassen können. Den Sauschädel habe ich im Schnee eingegraben. So haben wir ihn ein paar Wochen aufheben können. Und die Sauhaut hat die Mutter im Ort an den Greißler verkauft. Das Fleisch selbst ist von der Großmutter noch am selben Abend im Schaff eingesurt worden, damit es lange hält. Mit Pökelsalz, Kümmel, Wacholderbeeren, Knoblauch und Pfefferkörnern hat sie es eingeschlichtet. Dann hat sie das runde Brett darüber gelegt und mir angeschafft, es mit der Holzschraube niederzupressen.
Wegen der vielen Arbeit sind wir am Weihnachtsabend erst sehr spät schlafen gegangen, aber die Zeit ist uns vergangen wie im Flug. Das war sicher wegen der Weihnachtslieder, die Silvia und Mutter und wir anderen bei der Arbeit gesungen haben. Auch die Großeltern waren bis zum Schluss dabei. Obwohl der Großvater ein paar Mal am Tisch eingenickt ist, hat er darauf bestanden, bei uns zu bleiben. Vielleicht ist es sein letztes Weihnachten, hat er gemeint und beobachtet, ob wir auch traurig genug dreinschauen. Vielleicht war es ihm zu wenig, vielleicht hat er mehr Aufmerksamkeit wollen, denn gleich darauf hat er ein verzwicktes Gesicht gemacht und extra laut »uiii« geschrien. Als ich seinen Nachttopf auf dem Misthaufen ausgeleert habe, sind die Sterne am Himmel gestanden. Kristallklar. Wie frisch gewaschen und poliert. Wunderschön war das.
7.
J akob war gespannt, ob er es schaffen würde. Er hatte den Schubkarren voll mit dampfendem Rinderdung beladen und musste ihn auf den Misthaufen fahren – über ein wippendes Brett, das an diesem Morgen leicht vereist war. Jakob entschied sich, es mit Schwung zu versuchen. Schon während des Anlaufs, noch bevor das Rad des Karrens das Brett auch nur berührt hatte, wusste er, dass seine Entscheidung keine gute gewesen war. In der Sekunde, als er ausrutschte, sah er sich bestätigt. Und als er samt der Schubkarrenladung Kuhmist in den Misthaufen klatschte und langsam darin einsank, wunderte er sich, warum er seinen Anlauf nicht abgebrochen hatte. Als nächstes beschäftigte ihn der Gedanke, dass er, hätte er kein schlechtes Gefühl gehabt, vielleicht gar nicht ausgerutscht wäre. Allerdings, so kam ihm etwas später, als er bereits bis zu den Oberschenkeln eingesunken war, dürfte tief in ihm der Wunsch geschlummert haben, geradewegs in den Misthaufen zu rasen, andernfalls hätte er doch rechtzeitig gebremst. Somit, befand Jakob nach vielem Hin und Her, mittlerweile bis zu den Hüften im Mist steckend, somit könne er eigentlich rundum zufrieden sein. Schließlich sei exakt das passiert, was er sich insgeheim gewünscht habe.
Eine ganze Weile später, als Jakob sämtliche Überlegungen über Wunsch und Wirklichkeit, über Plan und Absicht sowie über Zufall und Vorsehung abgeschlossen hatte, bemerkte er, dass er feststeckte. Jetzt erst spürte er auch, dass sein Gesicht schmerzte. Der Winterwind biss darauf herum, tausendnadelfein.
Blöd, dachte Jakob, blöd, dass ich beim Versinken nicht meine Arme nach oben gehalten habe, dann könnte ich jetzt wenigstens mein Gesicht mit den Händen bedecken, um es vor dem eisigen Wind zu schützen. So was Blödes, dachte Jakob noch einmal. Da vorerst aber nun einmal nichts zu machen war und den Burschen jene Bewegungen, die ihm noch möglich waren, nur noch tiefer in den Mist saugten, schloss er zum Schutz die Augen und versuchte die Zeit sinnvoll zu nutzen. Mit allerlei Überlegungen.
An diesem Morgen schien der Nebel im Himmel zu schwimmen. Er war so milchig dicht, dass kein Unterschied mehr war zwischen Himmel und Schnee, und niemand hätte sagen können, wo nun der Boden endete und der Himmel begann. Der eisige Wind aus dem Norden, der nachts dazugekommen war, verblies den Nebel diesmal nicht, sondern lud ihn mit peitschend schmerzender Kälte auf, formte Eisnebel aus ihm.
Körniger Schnee biss drei Finger dick an ächzenden Zweigen. Und der Eisnebel, unnachgiebig und wild, machte mit kaltem Atem, dass das kristallene Weiß mit jedem Stoß noch üppiger wurde, noch schwerer – ein raues Kunstwerk der Natur, anfangs bezaubernd anzuschauen, doch dann, von einem
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