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Milchblume

Milchblume

Titel: Milchblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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Freiheit, Silvia! Jeden Moment in ihrem Leben fürchten sie sich davor, etwas zu verlieren. Fürchten sich, um etwas betrogen zu werden, sind miss­trauisch, vermuten hinter jeder guten Tat einen bösen Gedanken, klammern sich an ihren guten Ruf und schimpfen über Leute, die auch glauben, einen guten Ruf zu haben. Das Wertvollste aber, das Gott uns geschenkt hat, auf das achten sie am wenigsten: auf die Liebe und die Freude in uns und die unendlichen Möglichkeiten, sie Tag für Tag aufs Neue zu erleben. Und deshalb Silvia, genau deshalb, will ich nicht so sein wie all die anderen, deshalb will ich nicht normal sein.«
    Als ich fertig war, hat sich ihr Gesicht verändert. Und ich habe einen neuen Schimmer in ihren Augen gesehen. Am Anfang hat sie noch gefordert, ich solle normal sein, jetzt aber haben mir ihre Augen gesagt, dass sie froh war und erleichtert. Weil ich von der Wirkung meiner Worte beeindruckt gewesen bin und ich mir gewünscht habe, dass dieser herrliche Moment länger anhielte, habe ich noch eine meiner geborgten Klugheiten hervorgekramt. Ich habe gesagt: »Silvia, lebe das Leben, von dem du fühlst, dass es das deine ist. Nicht das der anderen. Lebe dein Leben. Das, von dem du fühlst, dass du es leben musst. Und lebe es bald, sonst ist es irgendwann zu spät.« Das habe ich zu ihr gesagt. Was ich ihr nicht gesagt hab, war, dass all die gescheiten Sprüche nicht auf meinem Mist gewachsen sind. Ich habe sie von Fabio. Du weißt ja, er ist mein Lehrer.
    Silvia hat mich beeindruckt und liebevoll angeschaut. Und ich habe mir gedacht: Fabio ist ein wirklich, wirklich guter Lehrer.

6.
    » H euer wirst du zu Weihnachten das letzte Mal bei uns sein«, sagte Jakobs Vater und starrte auf die Tischplatte, als liege dort etwas. »Nächstes Jahr zu Maria Lichtmess geb ich dich als Knecht zum Huber-Bauern. Aber du darfst weiterhin bei uns in deiner Kammer schlafen. So will’s der Huber-Bauer. Er will dich über Nacht nicht am Hof haben. Deine Mahlzeiten kriegst du aber schon bei ihm. Du brauchst also nicht mehr zu uns ins Haus. Wenn du mit dem Abendbrot fertig bist, darfst du dich auch bei ihm waschen. So ist es nicht notwendig, dass du noch bei uns reinkommst. Du kannst direkt über den Hof in deine Kammer.«
    In Jakobs Gesicht stand ein Ausdruck, den der Seifritz-Bauer auch nicht zu deuten gewusst hätte, wären seine Augen auf den Burschen gerichtet gewesen. Erst als der Seifritz-Bauer die Worte »hast du alles verstanden« sagte, sah er kurz auf, senkte aber gleich wieder den Blick und fingerte in der Rocktasche nach seiner Pfeife.
    Jakob blickte auf seine vor der Brust verschränkten Arme. Und dachte nach: Ich habe nichts gegen den Huber-Bauern. »Gut«, sagte Jakob leise, worauf der Seifritz-Bauer zufrieden den Kopf hob und leicht wippend wieder senkte. Ich soll aber nicht bei ihm schlafen. »Gut«, sagte Jakob leise, worauf der Bauer großzügig sein Nicken wiederholte. Der Huber-Bauer will sicher deshalb nicht, dass ich bei ihm schlafe, weil ich ihn sonst beim Liebemachen mit seinen Kühen erwischen könnte. »Ist in Ordnung«, sagte Jakob, worauf der Seifritz-Bauer leicht irritiert aufsah. Das Essen aber bekomm ich künftig schon bei ihm. »Auch recht«, sagte Jakob leise, worauf der Seifritz-Bauer erstmals seinen Blick auf Jakob beibehielt. Waschen soll ich mich auch bei ihm. »Gut«, sagte Jakob, und der Seifritz-Bauer setzte ein selbstsicheres, gelangweiltes Gesicht auf. Nach dem Waschen soll ich gleich in meine Kammer, in der Früh sofort zum Huber-Bauern, den ganzen Tag arbeiten und dann wieder in die Kammer. Das bedeutet doch, dass ich Silvia nicht mehr sehe.
    »Nein!«, schrie Jakob und sah mit erschrockenen Augen auf. In die ebenso erschrockenen Augen des Seifritz-Bauern.
    »Nein, das will ich nicht!«
    »Was heißt, das will ich nicht!«, brüllte der Bauer, schnellte von seinem Sessel auf und beugte sich mit ausholender Armbewegung über den Tisch. An seiner Schläfe begann eine Ader dicker zu werden.
    Jakob verzichtete darauf, sich zum Schutz die Hände vors Gesicht zu halten. Nun geht’s um alles, dachte er. Jetzt nur das Richtige sagen, nur das Richtige.
    »Aber Mutter, aber Vater«, bat er, »dann sehe ich euch ja gar nicht mehr.«
    In der Stube schien die Zeit wie eingefroren. Der Arm des Bauern blieb für Sekunden in der Luft stehen. Die Mutter, die sich bei Jakobs Satz erstmals vom Herd umgewandt hatte, sah zu ihm, die Hände ins Geschirrtuch gekrallt. Die Stricknadeln der Großmutter

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