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Milchblume

Milchblume

Titel: Milchblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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mir der Pfarrer schon die letzte Ölung gegeben hat. Aber der liebe Gott, erzählen die Leute, hat mich auch nicht haben wollen. Und so bin ich halt wieder gesund geworden.
    Die Leute haben mich auch aufgeganselt, dass ich nur ja nicht glauben brauch, es sei Zufall, dass mich der Seifritz-Bauer gerade jetzt als Knecht zum Huber-Bauern gebe. Das tue er nur, weil ich aus dem Alter heraußen sei, bis zu dem der Pfarrer das Erziehungsgeld zugesagt hat. Die Leute haben behauptet, dass ich aus einem einzigen Grund bisher am Hof habe bleiben dürfen: weil es für meinen Vater ein gutes Geschäft war. Nämlich einen Knecht zu haben, für den er nicht nur keinen Groschen hat zahlen müssen, sondern sogar noch Geld eingestreift hat. Ich habe dem Gerede damals nicht geglaubt.
    Zu Weihnachten, meinen letzten am Seifritz-Hof, bin ich sehr gut behandelt worden. Vielleicht so gut wie noch nie. Zum ers­ten Mal habe ich, wie die anderen auch, ein Geschenk bekommen. Ein Paar warme Socken. Und der Christbaum war herrlich geschmückt, mit Äpfeln, Nüssen und ein paar Naschereien, und am Abend haben wir gemeinsam Weihnachtslieder gesungen, wie eine richtige Familie, und alle haben sich bemüht, gute Christenmenschen zu sein. Zum vielleicht ersten Mal haben meine Eltern versucht, lieb zu mir zu sein. Und es ist ihnen auch gelungen. Ausgerechnet jetzt. So ist mir der Abschied doch noch ziemlich schwer geworden, nicht nur wegen Silvia.
    Weil es draußen so kalt war, haben am Weihnachtsabend sogar die Hendln in die Stube dürfen. Darauf hat die Großmutter bestanden, weil es immer schon so gewesen ist bei großer Kälte, hat sie gesagt, und weil die Hendln sonst nicht so schöne, große Eier legen. Den Bauern hat es geärgert, aber er hat nachgegeben. Ein paar Tage davor hat er auch schon nachgegeben. Der Greißler hat ihn mit gutem Zureden wie jedes Jahr dazu gebracht, dem Großvater Tabak zu kaufen. Griesgrämig hat er »na, dann gib halt her« gebrummt und den billigsten Tabak genommen, den er hat bekommen können. Und der Großvater hat wie jedes Jahr Hans, Fritz und mich geschickt, um für seinen Sohn ebenfalls Tabak zu kaufen, den billigsten, den wir haben kriegen können. Eigentlich blöd, habe ich mir gedacht, würden sie sich ihren Tabak selber kaufen, könnten sie welchen rauchen, den sie mögen. So aber haben sie, glaube ich, nur den Trost gehabt, dass es dem anderen auch nicht schmeckt.
    Für den Seifritz-Bauern ist zu Weihnachten wahrscheinlich ein bisserl viel zusammen gekommen. Nach den Hendln in der Stube und dem schlechten Tabak im Mund hat er sich auch noch darüber ärgern müssen, dass der Großvater den Nachttopf in die Küche mitgeschleppt hat – um nicht überrascht zu werden, hat der Großvater gesagt, vom Drang. Denn wenn der einmal da ist, der Drang, »uiii«, hat der Großvater gejault, dann geht’s ganz schnell. Aufs Plumpsklo, das bei uns im Hof neben dem Stall steht, geht der Großvater nicht gern, schon gar nicht im Winter. Denn wenn der Wind weht, pfeift es ganz schön frisch durch das in die Holztür geschnitzte Herzerl. Und wenn ein Sturm über die Schneedecke jagt, ist es noch ungemütlicher, da kommt der Eiswind dann auch von unten. Das mag der Großvater überhaupt nicht auf seine alten Tage. Und so hat er halt immer den Nachttopf dabei.
    Seine Wut darüber hat der Seifritz-Bauer nicht, wie sonst immer, an mir ausgelassen. Wahrscheinlich wegen Weihnachten. Stattdessen hat er sich bei einem unserer Schweine abreagiert. Er ist aus der Küche gestürzt, in den Hof raus, hat die Axt aus dem Hackstock gerissen, ist in den Stall und hat der Susi mit einem einzigen Hieb den Kopf gespalten. Das Blut ist damals bis an die Latten des Schweinekobels gespritzt und auch an der Decke vom Stall sieht man es heute noch kleben. Als wir die Susi gefunden haben, war die Axt noch immer in ihrem Schädel, und Rudi, unser zweites Schwein, hat das warme Blut von Susis Kopf getrunken. Oft kennen Tiere keine Grenzen, dann sind sie wie Menschen.
    So leid es mir um Susi getan hat, in den nächsten Tagen hätte sie sowieso dran glauben müssen, weil wir kein Fleisch mehr gehabt haben. Und so war es eben gleich um sie geschehen. Der Seifritz-Bauer ist nach dem Totschlagen mit irgendwie gelöstem Gesicht wieder in die Stube gekommen. Grimmig ausgeschaut hat er freilich schon, mit dem vielen Schweineblut im Gesicht und den verklebten Haaren. Ganz ruhig hat er sich an den Tisch gesetzt, sich seine Pfeife wieder angezündet und

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