Milchblume
Großmutter nicht um die Erklärung bitten und so wisperte sie, schmallippig sowie den Kopf beinahe unmerklich vor und zurück wippend, dass die liebe Silvia wohl irgendwelche schlechten Gedanken gehabt haben müsse, denn sonst, krächzte die Alte, ja sonst wäre sie von den Raunacht-Geistern gewiss unbehelligt gelassen worden. Das Urteil der Großmutter ließ alle Augenpaare auf Silvia starren, und so glühten die Ohren des Mädchens im Nu. Womit allen Umsitzenden der Wahrheitsgehalt des großmütterlichen Urteils bestätigt schien, und damit der Umstand, dass dieses zierliche, freundliche Mädchen irgendwelche dunklen Seiten haben musste. Ihnen allen konnte die liebe Silvia etwas vormachen, den Gespenstern der Raunächte aber blieb nichts verborgen in dieser Zeit, da der Himmel offen war und durchlässig für alle Gedanken, Gefühle und Erscheinungen.
»Mmm!«, krächzte die Seifritz-Großmutter ein letztes Mal in die Stille, auf dass sich jeder Silvias verborgene dunkle Seiten noch lebhafter ausmalen konnte.
Doch das war bereits zwei Winter her. An diesem Abend war nichts dergleichen geschehen und alle waren satt und zufrieden am Seifritz-Hof. Nur noch diese eine letzte Raunacht müsse überstanden werden, wurde geflüstert, dann wäre Heiligdreikönig und im ganzen Land könnten die Menschen, rechtschaffen oder nicht, wieder aufatmen.
Spät war es schon. Schlafenszeit, und im Backrohr wurden die Ziegel angewärmt. Stück für Stück in Tücher gewickelt würden sie für wohlige Wärme sorgen unter den klammen Bettdecken der winterkalten Stuben.
»Wann fängst du denn an, Holz zu schlagen?«, fragte der Großvater in die ofenknisternde Stille und wandte sich seinem Sohn zu.
»Nach den Raunächten, wie jedes Jahr«, antwortete der Bauer gereizt.
»Hättest ja die Zigeuner schicken können, wenn du während der Raunächte nicht in den Wald willst«, sagte der Großvater.
»Du weißt doch, dass man die nicht alleine lassen kann. Ist kein Verlass auf sie. Wer weiß, was die anrichten würden im Wald. Nicht auszudenken. Außerdem gehen die Zigeuner in den Raunächten auch nicht raus, wenn’s nicht unbedingt sein muss.«
In dieser Nacht schlief der Seifritz-Bauer nicht gut. Tausend lästige Gedanken stoben ihm durch den Kopf. Es verlangte ihn auch danach, seine Frau zu besteigen, aber er scheute davor zurück, denn er hatte das bange Gefühl, ja doch wieder abgewiesen zu werden. Und weil er es satt hatte, sich im engen, knarrenden Bett hin und her zu wälzen, berührten seine gelben, etwas schmierigen und hornhäutigen Fersen den Bretterboden an diesem Dreikönigstag noch vor Morgengrauen. Innerlich fluchend roch der Bauer an seinen alten Socken, zögerte und zog sie dann doch an, schlüpfte in Hose und Holzpantoffel, glitt in sein abgetragenes Hemd, zwängte sich in den Rock, ging in den Stadel, um Holz zu hacken und Späne zum Unterzünden, und schlug sich bereits bei einem der ersten wütenden Hiebe den linken Daumen ab. Gellend schrie er auf, verbat sich dann aber jeden weiteren Laut, ärgerte sich zutiefst über sein Unglück im Allgemeinen und seine Ungeschicklichkeit im Besonderen, weinte sogar kurz, weil er verdammt, verdammt, verdammt war, ein Leben zu führen wie er es nun eben einmal tat, und da der Daumen nur noch an einem Fetzchen Haut baumelte, nahm der Seifritz-Bauer ein Messer und schnitt den Finger gänzlich weg.
Keine Stunde später trat er in die Stube, um zu frühstücken. Seinen Daumenstumpf hatte Fabios Frau mit blutstillender Salbe versorgt und darüber einen Verband aus Stoffstreifen gebunden. Um peinlichen Fragen zuvorzukommen, setzte sich der Bauer mit den Worten: »Ist beim Holzhacken passiert.« Doch sein Vater kannte keine rasche Gnade. »Gut, dass du nicht in den Wald gegangen bist, Holz zu machen«, sagte der Alte leise. »Wenn du dir schon beim Spanhacken den Finger abschlägst, hättest du dir im Wald wahrscheinlich den ganzen Arm abgetrennt.« Und die Großmutter meinte nach kurzem Nachsinnen und in herzhaft erleichtertem Ton: »Na Gottlob sind wir diesmal glimpflich durch die Raunächte gekommen.«
***
Anfangs habe ich geglaubt, nicht richtig zu verstehen. Aber er hat es ein paar Mal wiederholt. Und als ich eigens noch einmal nachgefragt habe, ob er es auch wirklich ernst meint, hat Attila klar und deutlich »Ja« gebrüllt. Attila ist unser Ochse. Weil ich gewusst habe, dass ich nicht mehr lange am Seifritz-Hof bin, weil ja mein Dienstantritt beim Huber-Bauern
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