Milchblume
Weg zu gehen und nutzbringende Gelegenheiten wahrzunehmen.
Jakob bürstete, schrubbte und wusch sich im Hof den gröbsten Jauchedreck vom Körper. Danach nahm er ein rasches, weil eiskaltes Bad im hölzernen Schaff, kam dann in die Stube, um sich am Herd aufzuwärmen, und dachte sich nicht viel dabei, als er anmerkte, dass es in der Küche nach Kot rieche.
»Na ausgerechnet du hast es notwendig«, sagte der Großvater und kontrollierte mit möglichst beiläufigem Blick, ob der Deckel am Nachttopf fest saß.
»Ich will euch alle beide jetzt nicht in der Küche haben«, beschloss die Seifritz-Bäuerin. »Silvia und ich fangen gleich an, Brot zu backen. Da können wir zwei wie euch hier nicht brauchen.« Sie sagte es mit ehrlich empörtem Gesicht und besah dabei Jakob, dann den Großvater und dann, besonders abfällig, dessen Nachttopf.
Alle zwei, drei Wochen buk die Bäuerin frisches Brot. So lange reichte der Vorrat, wenn sie den Backofen, der acht Laibe fasste, bis in den letzten Winkel befüllt hatte. Und das tat sie stets, schließlich sollte die wertvolle Hitze des Ofens nicht vergeudet werden. Silvias Aufgabe war es, das ausgekühlte Brot in die Speisekammer zu tragen und die Laibe auf die an der Wand befestigte Brotleiter zu schlichten. Nach gut zwei Wochen war der letzte Wecken freilich schon hart, also wurde er in Milch eingebrockt oder eine Brotsuppe gekocht. Ein anderes Küchengeheimnis der Bäuerin war, den Laib zum Aufweichen der steinharten Rinde in ein feuchtes Tuch zu wickeln. Doch gleich, ob frisch oder alt: jeder Wecken wurde vor dem Anschneiden vom Hausherrn mit drei Kreuzzeichen versehen, als Geste des Danks an den Herrgott. Am Backtag selbst, wenn das Haus warm erfüllt war mit dem Geruch frischen Brots, hielt es niemanden lange draußen. Alle wollten in die Küche, um nur ja nicht den herrlichen Duft zu verpassen, und die heißen Feuerflecken. Einige Klumpen Brotteig wurden nämlich zu großen, runden Fladen ausgewalkt und nach den Laiben in den Backofen geschoben. Kamen die Feuerflecken heiß aus dem Ofen, wurden sie mit Schweineschmalz bestrichen und je nach Geschmack mit Kümmel, Graumohn oder Knoblauch bestreut.
Überall in Legg war das Brotbacken und anschließende Verdrücken der frischen Feuerflecken eine der seltenen Abwechslungen. Der Winter war eintönig, und er schaffte es Jahr für Jahr, den Eindruck zu vermitteln, als wolle er nie wieder Abschied nehmen. Während der angsteinflößenden Raunächte bot das Brotbacken zudem eine Ausrede mehr, das Haus nicht zu verlassen.
Die Furcht vor der Magie der Raunächte, die sich die Menschen in Legg mehr oder weniger offen eingestanden, führte auch dazu, dass ausgerechnet in den zwölf Tagen zwischen dem Weihnachts- und dem Dreikönigstag alle schadhaften Wäschestücke ausgebessert, sämtliche Säcke geflickt sowie in allen Winkeln und Ritzen eifrig Staub gewischt wurde. Um nur ja nicht hinaus zu müssen, wurde zudem der ausgetretene Holzboden mit der Reißbürste bearbeitet und danach gründlich und gleich mehrmals geschrubbt, wurde Wolle gesponnen, wurden Federn geschlissen und überhaupt alle Arbeiten im Haus so sorgfältig erledigt, als gäbe es dafür eine besondere Auszeichnung.
Draußen trieben sich indes gemeine Kobolde und hinterlistige Geister herum. Und mit denen war nicht zu spaßen, das wusste Jung und Alt. Schon so mancher seltsame Unfall war in den Raunächten geschehen, so mancher unerklärliche Sturz in den Tod, und nicht erst ein Baum war wie von Geisterhand ausgerechnet in dem Moment und in jene Richtung umgestürzt, dass er einen Holzfäller mit voller Wucht erschlagen hatte. Wie gefährlich es draußen zuging, bewies sich für die Bauern in Legg zuweilen auch durch den Umstand, dass der Spuk sogar im Inneren der Häuser noch Unheil anzurichten vermochte. Silvia etwa, die brave Silvia, von der alle zu Recht annehmen durften, dass sie jungfräulich und ohne Sünde sei, fiel einmal während einer Raunacht in Ohnmacht. Beim Bügeln. Platsch. Einfach so. Auf den ersten Blick lag das vielleicht am Kohlegas, dem giftigem Dampf, der entstanden war, weil das Bügeleisen am Hof noch immer mit glühenden Kohlen beheizt wurde. Zugegeben, Stubenfenster war auch keines offen gewesen. Tatsächlich aber, und »in Wirklichkeit«, wusste die Großmutter, und tat das mit einem ihrer papageiartig herausgepressten »Mmm!« kund, in Wirklichkeit war für den Unfall eine andere Ursache ausschlaggebend. Recht lange ließ sich die
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