Milchblume
gefragt, ob ich mich zu ihm setzen dürfe, um zuzuschauen. »Geh Jakob, du verstehst ja sowieso nix davon«, hat er gesagt, aber trotzdem Platz gemacht. Als Fabios ältester Sohn versucht hat, sich neben den Bürgermeister zu zwängen, ist er verscheucht worden: »Nein, Bursche. Du hast mir beim letzten Mal schon in die Karten geschaut.« Weil wir seine Reaktion vorausgesehen haben, hat Fabios Dreikäsehoch den Bürgermeister mit einem Engelsgesicht gefragt, ob er sich denn neben ihn setzen dürfe, damit er etwas lerne. Der Bürgermeister hat ein geschmeicheltes Gesicht aufgesetzt und sofort Platz gemacht. Neben dem Pfarrer hat es keinen Kiebitz gebraucht. Er spielt furchtbar schlecht. Darum ist er auch so beliebt, beim Kartenspielen. Im Rausch verspielt er jedes Mal die ganze Kollekte. Bis zum allerletzten Groschen. So wird die Spende, die einem in der Kirche abgenötigt worden ist, zum Spieleinsatz, der im Wirtshaus zurückgewonnen werden kann. »Gottes Wege sind unergründlich«, hänseln die Bauern den Pfarrer, wenn er nicht kapiert, warum ausgerechnet er immer verliert. Beliebt ist auch, »Gott sei Dank« zu rufen oder »Gelobt sei Jesus Christus«, wenn er kein gutes Blatt hat.
An diesem Abend ist das Spiel lange hin und her gegangen, und bis auf den Pfarrer hat niemand größere Verluste einstecken müssen. Später, als die Stimmung schon feuchtfröhlich war, hat Fabio getan, als seien ihm seine Pfeifenputzer runtergefallen, und er hat seinem Jüngsten angeschafft, unter den Tisch zu kraxeln und sie hervorzuholen. Als der Kleine wieder neben dem Bürgermeister gesessen ist, waren nicht nur die Pfeifenputzer wieder in Fabios Rocktasche, sondern auch Schnüre an den Füßen von Fabio, seinem kleinen Sohn und mir. So konnten wir Fabio geheime Zeichen geben. Und ab da sind auch die Verluste des Bürgermeisters und des Wirtes groß und größer geworden, auf wundersame Weise.
Als Fabio gefunden hat, dass jeder weitere Gewinn zu auffällig wäre, ist ihm eingefallen, dass sein Kleiner jetzt aber schleunigst ins Bett gehöre. Wenn der Herr Pfarrer aber unbedingt wolle, könnten sie noch ein allerletztes Spielchen mit einer Münze versuchen. Fabio sei bereit, hat er gesagt, seinen gesamten Spielgewinn gegen den viel geringeren Betrag einzusetzen, den der Herr Pfarrer noch im Klingelbeutel habe. Und weil er den Bürgermeister und den Wirt bitte, bei diesem Spiel als Zeugen zur Verfügung zu stehen, würde er ihnen, sollte er gewinnen, je ein Drittel des Gewinns abtreten. Der völlig beduselte Pfarrer hat nach kurzem Zureden des Bürgermeisters eingewilligt. Also hat Fabio eine gewöhnliche Münze aus seinem Hosensack gefischt, sie knapp vor der Nase des Pfarrers gedreht und gewendet, rasch gesagt »Bei Kopf gewinn ich, bei Zahl verlieren Sie«, und dann hat er die Münze wirbelnd in die Luft geworfen und sie scheppernd auf den Tisch springen lassen. »Zahl!«, hat Fabio gerufen, »Leider, Herr Pfarrer, Sie haben verloren!« Als der Pfarrer Anstalten gemacht hat, das Resultat anzuzweifeln, war es nicht Fabio, der ihn hat besänftigen müssen. Der Bürgermeister hat beschwichtigend seine Arme gehoben und gesagt: »Ich kann mich genau erinnern, Herr Pfarrer. Es hat geheißen, bei Zahl verlieren Sie.« Und der Wirt hat bestätigt: »Ja, ganz sicher, Herr Pfarrer, so war es ausgemacht, bei Zahl verlieren Sie.«
Fabio ist ein kluger Mann, stimmt’s? Nicht nur, dass er die Habgier des Pfarrers ausgenutzt und dem Bürgermeister und dem Wirt beim Kartenspiel das Geld aus der Tasche gezogen hat. Danach hat er die beiden auch noch zu seinen Verbündeten gemacht, und sie so das zuvor an ihn verlorene Geld vergessen lassen. Und während Pfarrer, Bürgermeister und Wirt über das Münzspiel debattiert haben, hat Fabios kleiner Sohn unbemerkt die Schnüre von unseren Füßen gelöst.
Ich habe Fabio gefragt, ob ich noch bleiben dürfe, und er hat gemeint, ich sei alt genug. Dann hat er mir noch ein paar Münzen zugesteckt und ist mit seinen Söhnen aufgebrochen. Ich habe noch ein, zwei Biere getrunken, mir ein paar Lieder im Wurlitzer ausgesucht und mich dann gut gelaunt auf den Heimweg gemacht. Dabei habe ich gar nicht bemerkt, dass die Lagler-Buben mir gefolgt sind.
Erst als ich beinahe bei der Abzweigung war, die zu ihrem Hof führt, habe ich sie gehört, wie sie hinter mir hergelaufen sind. Ich bin stehen geblieben und habe ihre ernsten Gesichter im Mondlicht gesehen. Beide haben sich vor mir aufgebaut und dann hat Kurt, der
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