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Milchblume

Milchblume

Titel: Milchblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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bevorgestanden ist, wollte ich Attila seinen Wunsch erfüllen. Als es hell geworden ist, bin ich mit ihm raus aus dem Stall. Es hat ganz leicht geschneit, große, dicke Schneeflocken. Gemeinsam sind wir in den Neuschnee gestapft, den Weg entlang, auf die Wiese, und dann sind wir stehen geblieben und haben uns noch einmal in die Augen geschaut. Attila hat den Kopf gesenkt, ich bin auf seinen Rücken gesprungen, habe mich an seine Hörner geklammert, die Beine so fest es ging um seinen muskelbepackten Körper geschlungen, und dann hat es für Attila kein Halten mehr gegeben. Ich habe gehörige Angst bekommen, weil unser zehnjähriger Ochs losgaloppiert ist, wie vom Teufel geritten. Er ist durch den Schnee gepflügt, ganz so, als wäre er ein Rassevollblut, ist über Feldraine gesprungen, als hätte er nie etwas anderes getan als springen und rennen. Dabei ist Attila zeitlebens immer nur unser braver Ackerochs gewesen.
    Erst später habe ich verstanden, warum er so ausgerastet ist. Ungefähr zwei Monate später habe ich es verstanden, als mein Vater mit dem ausgeborgten Steyr-Traktor nach Hause gekommen ist. Ich weiß nicht woher, aber Attila hat wohl geahnt, dass er bald nicht mehr gebraucht wird, und dass ihn der Seifritz-Bauer demnächst verkaufen wird.
    Ehrlich gesagt, ich habe gefürchtet, Attila würde uns beide um Kopf und Kragen rennen. Sein Fell war schweißnass, und ich habe geglaubt, sein Herz rasen zu hören. Ich habe ihn gebeten, stehen zu bleiben, habe ihn angefleht und ihm ins Ohr geschrien. Aber Attila hat nicht hören wollen. Er hat überhaupt kein Maß mehr gekannt. Stehen geblieben ist er erst, als ihm Fabio in den Weg getreten ist. Keine Ahnung, wie Fabio es geschafft hat, unseren Teufelsritt zu stoppen. Attila hat geschnauft wie eine Dampflokomotive und gebebt, als würden seine Muskeln bersten.
    Fabio hat mir geholfen, Attila zurück in den Stall zu führen. Er hat es widerstandslos mit sich geschehen lassen. Bevor wir den Hof erreicht haben, hat Attila kurz Halt gemacht, und dann hat er mich mit einem stolzen, dankbaren Blick angeschaut. Da erst habe ich verstanden: Er hat mich nicht nur gebraucht, ihn freizulassen für seinen verrückten Galopp, sondern auch als Zeugen. Als Zeugen seiner immer noch unbändigen Kraft.
    Niemand außer Fabio hat etwas von unserem wilden Ausflug mitbekommen. Nur der Huber-Bauer, der auf seinem verschneiten Feld die tiefen Abdrücke bemerkt hat, hat mir am Nachmittag erzählt, dass er Spuren im Schnee gesehen hat. Die seien ungestüm gewesen wie von einem Araberhengst und hätten eine Form gehabt, also wirklich, nein wirklich ungeheuerlich, als sei der Teufel vorbeigeritten. Hier seien sie gewesen, genau hier, hat er geschworen. Zeigen konnte mir der Huber-Bauer die Spuren nicht. Denn der Schnee hatte bereits eine Decke gestrickt, und der aufkommende Wind hat sie behutsam über Attilas Spuren gezogen.
    Als ich halbwegs verschnauft habe, bin ich zu Fabio gegangen und habe ihm für seine Hilfe gedankt. Weißt du, was er mir geantwortet hat? Er hat gesagt: »Ich habe zu danken.« Und als ich wissen wollte, wieso, hat er mir erklärt, dass ich es ihm ermöglicht hätte, schon so früh am Morgen eine gute Tat zu vollbringen. Ich habe ihm gesagt, dass ich seine Einstellung sehr anständig fände. Aber Fabio hat nur gelacht und gesagt: »So besonders anständig ist das gar nicht. Weißt du, jede gute Tat wird belohnt. Und je mehr Gutes man der Welt gibt, desto mehr Gutes gibt sie auch wieder zurück.«
    »Und wenn sie das nicht tut?«, habe ich gefragt.
    »Es ist immer so«, hat Fabio geantwortet. »Du bekommst Gutes stets zurück. Meistens sogar sofort und das doppelt und dreifach. Nicht immer von anderen, aber durch ein schönes Gefühl, das dein Herz umrieselt, sobald du etwas Gutes getan hast.«
    Da hat mich eine Erleichterung erfasst, und ein Glück. Ich kannte nämlich das Gefühl, das Fabio beschrieben hat. Erst an diesem Morgen hatte ich es gespürt. An dem Morgen, als Attila mir dafür gedankt hat, dass ich mit ihm geritten bin.
    Am Sonntagabend hat mich Fabio mit zum Wirt genommen. »Wir werden uns unterhalten und ein bisschen Geld verdienen«, hat er gesagt, als wir uns zu viert auf den Weg gemacht haben, Fabio, sein ältester Sohn, sein jüngster und ich.
    Die Wirtshausstube war voll. An fast allen Tischen ist Karten gespielt worden. Wir haben uns zum Wirt, zum Bürgermeister und zum Pfarrer gehockt. Ich habe gewusst, was zu tun war, also habe ich den Wirt

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