Milchblume
waren statt endlich näher beisammen. Geredet haben wir nicht darüber, wir haben auch so alles voneinander gewusst. Das war ein schönes Gefühl. Eigentlich komisch. Komisch, dass ein schönes Gefühl den Schmerz noch größer machen kann.
»Liebe tut weh«, habe ich zu Fabio gesagt. Er hat aufmunternd gelacht und gemeint, wenn Liebe nicht wehtun würde, wüssten wir nicht, dass es Liebe sei. Allein dieser ganz besondere Schmerz sei es, der uns Sicherheit gebe.
Ich habe Fabio gesagt, dass ich verzweifelt sei, weil ich nicht wisse, wie es weitergehen solle, und dass Silvia und ich schließlich Geschwister seien. Daraufhin hat Fabio gelächelt und gemeint, dass ich nicht immer so viel nachdenken solle. Das Denken könne ich getrost den Pferden überlassen, die hätten schließlich einen viel größeren Kopf. Sein Scherz hat mich nicht ablenken können. »Unsere Situation ist doch ausweglos«, habe ich gesagt. Und er hat erwidert, dass ich mir nichts Gutes täte, wenn ich immer angestrengt über alles nachdächte. Es führe zu nichts, hat Fabio beharrt und gesagt: »Viel sicherer leitet dich dein Unbewusstes. Das fühlt beständig und weiß immer, was zu tun ist. Vertrau ihm, wenn es zu dir spricht.«
»Aber es spricht nicht!«, habe ich grantig eingewendet, und Fabio hat gemeint, dann müsse ich mich eben zurücklehnen und warten, bis es so weit sei. Ein Mann, der dem Strom der Liebe hinterherrenne, hat er gesagt, komme niemals zur Ruhe. Ein Mann aber, dessen Herz stark genug sei, darauf zu warten, dass ihm der Strom die Liebe zutreibe, der werde auch Kraft genug haben, sie im entscheidenden Moment anzunehmen.
Was hätte ich darauf noch entgegnen sollen? Na eben: nichts. Also habe ich geseufzt und gesagt, dass es da noch etwas gebe, was mir am Herzen liege. Etwas Peinliches, etwas, das mich nicht mehr loslasse. »Na sag schon«, hat mich Fabio aufgefordert, sich gemächlich seine Pfeife angezündet, als erwarte er eine lange Rede von mir, und hat sich zurückgelehnt. Ich habe gewusst, dass mein Erlebnis mit der Huber-Bäuerin bei ihm gut aufgehoben war, obwohl mich Fabio verunsichert hat, weil er während meiner Erzählung ein paar Mal sein Grinsen nicht verbergen konnte. Schließlich habe ich ihm gesagt, dass ich Silvia gegenüber ein furchtbar schlechtes Gewissen hätte, und ob es nicht eine Sünde gewesen sei, dass ich es mit der Huber-Bäuerin so weit hätte kommen lassen. Fabio schien ehrlich entsetzt über meine Frage. »Jakob«, hat er gesagt, »es gibt schon ausreichend Schlechtigkeiten auf dieser Welt. Da musst du dir nicht auch noch zusätzliche zusammenreimen. Sünden sind eine Erfindung der Pfaffen. Und im Übrigen lächerlich gegenüber dem, was die Kirche selbst auf dem Kerbholz hat.«
»Also gut, was ich gemacht habe, war also keine Sünde«, habe ich gesagt, um mich zu vergewissern, dass ich Fabio richtig verstanden hatte.
»Richtig«, bestätigte Fabio, »es war keine Sünde.« Und wegen Silvia, hat er gesagt, müsse ich mir auch keine schweren Gedanken machen. »Was das Auge nicht sieht und das Ohr nicht hört, kann das Herz nicht berühren.«
Ich habe ihn gefragt, ob das nun heiße, dass ich ihr nichts von alldem erzählen solle. »Bin ich ihr das nicht schuldig?«, habe ich gefragt, und ob dieses Geheimnis unsere Liebe nicht vergiften und erniedrigen würde.
»Aber Jakob!«, hat Fabio aufgeschrien. Anscheinend war er ziemlich bestürzt über meine Ansichten. Er war nicht mehr zu halten und hat gesagt: »Sei doch ehrlich zu dir. Wenn du es ihr sagst, ändert das doch nichts am Wert und der Reinheit eurer Liebe. Wenn du tatsächlich empfindest, dass Erlebnisse wie die mit der Huber-Bäuerin eurer Liebe schaden, dann darfst du es ganz einfach nie zu solchen Erlebnissen kommen lassen. Aber danach so zu tun, als könntest du eure Liebe sauber waschen, indem du beichtest, ist nicht nur lächerlich, verlogen, feige und dumm, sondern bringt auch nichts. Damit würdest du Silvia nur verunsichern und kränken, eurer Liebe also schaden anstatt ihr zu helfen, und in Wirklichkeit wäre deine scheinbare Ehrlichkeit nur ein schäbiges Mittel, dein wichtigtuerisches Gewissen zu erleichtern. Dich selbst willst du reinwaschen. Und zwar vor dir selbst. Dir selbst willst du die Absolution erteilen, bist aber zu schwach dafür, und überlegst deshalb, es von jemand anderem tun zu lassen. In diesem Fall von Silvia. Deine Beichte wäre ein feiger, eigennütziger Akt für eine Sünde, die es nur gibt, wenn du
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