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Milchblume

Milchblume

Titel: Milchblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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wählen – und uns für das Gute entscheiden.«
    »So«, grinste Fabio. Vor ihm zappelte Jakob, hüpfte splitternackt und zähneklappernd von einem Bein aufs andere. »Und jetzt mach, dass du in deine Kammer kommst, bevor dich jemand hier so sieht und auf dumme Gedanken kommt. Mit deiner Ganslhaut«, rief er Jakob hinterher, »schaust du übrigens aus wie ein gerupftes Hendl!«
    Bei den Holzarbeiten, die der Seifritz-Bauer mit Hilfe seiner Söhne sowie den Fahrenden an diesem Tag zu erledigen hatte, konnte es Fabio nicht lassen, immer wieder Kuh- und Hühner­laute von sich zu geben. Alle, bis auf den Bauern selbstverständlich, lachten über die Blödelei, und bald hallte der Wald voller »Muuuuh!« und »Gogogo!«. Wiewohl den tieferen Sinn des Tiergeschreis nur jener junge Mann begreifen konnte, der noch vor wenigen Stunden splitternackt und zähneklappernd im Stall herumgesprungen war. »Muuuuuuh!«, machte Jakob, und kippte vor Lachen in den Schnee.
    Wenige Wochen später war Maria Lichtmess, traditionell der Tag für den Dienstbotenwechsel; und diesmal auch der Tag, an dem Jakob den väterlichen Hof verließ, um beim Huber-Bauern Knecht zu werden. Zwei Dinge stellte Jakob rasch fest. Erstens, dass der Huber-Bauer noch öfter betrunken war, als Jakob ohnedies stets angenommen hatte. Und zweitens, dass sich der bisher recht freundliche Mann erschreckend rasch als Leuteschinder entpuppte.
    Tatsächlich genoss es der Huber-Bauer, nun endlich jemanden zu haben, der es sich gefallen lassen musste, herumkommandiert zu werden. Lange genug hatte er selbst alle Drecksarbeit machen müssen – und in der Nachbarschaft mitangesehen, wie leicht es sich der Seifritz-Bauer machte, dank Jakob. Und er, der Huber-Bauer, war schließlich auch kein Niemand, war schließlich auch ein gestandener Bauer. Außerdem sollten die Leute ruhig sehen, dass er jetzt einen Knecht hatte und er selbst also ab sofort ein Herr war. Ja, bisher war er in Legg stets der unbedeutendste, der kleinste Bauer gewesen. Jetzt aber, jetzt war er jemand. Denn er hatte Jakob. Seinen Knecht Jakob.
    Der Huber-Bauer kostete seine neue Rolle aus. Wenn er etwa im Vollrausch die Rinne im Plumpsklo nicht, wie vorgesehen, nur zum Urinieren verwendete, und sie also vollends verstopft war, musste Jakob ausrücken und sie reinigen. Tat er das, oder andere ihm zugewiesene Arbeiten, nicht rasch und peinlichst genau, wurde er »faule Haut« geschimpft und ihm damit gedroht, dass sein Lohn gekürzt würde. Gut, den bekomme zwar nicht er, sondern der Seifritz-Bauer, aber sein Vater würde sich wohl schön bedanken bei Jakob und schon wissen, wie seiner Faulenzerei und Schlampigkeit beizukommen sei. Der werde ihm die Wadeln schon nach vorne richten. Und wenn es Jakob partout nicht anders wolle, könne er, der Huber-Bauer, ruhig einmal dem Seifritz-Bauern erzählen, was für einen Nichtsnutz er da groß gezogen habe. Dann werde Jakob schon sehen, was ihm blühe.
    Eigentlich komisch, dachte Jakob, er behandelt mich wie den letzten Dreck, gleichzeitig bin ich der einzige Grund, warum er plötzlich ein Herr ist. Das passt doch nicht zusammen. Er ist doch kein anderer geworden, überlegte Jakob, ist nicht reicher, nicht schöner und bei Gott auch nicht gescheiter oder sonst irgendwie feiner geworden. Nur ich bin es, der ihn zum Herrn macht. Und darauf ist er stolz?
    Im Großen und Ganzen änderte sich mit dem Hofwechsel nicht viel für Jakob. Anders als daheim war beim Huber-Bauern nur eines: Am Seifritz-Hof sah Jakob weder als Kind noch als junger Bursch auch nur ein einziges Mal, dass sich zwei Menschen umarmt hätten oder irgendwelche Zärtlichkeiten ausgetauscht. Auch kein nettes Wort fiel dort, nicht eines. So hatte Jakob mit den Jahren den Eindruck gewonnen, es müsse eine geheime, sehr böse, sehr traurige Macht geben, die nur die anderen sehen konnten, und die es den Menschen auf Erden verbat, irgendeine Art von Liebe zu zeigen.
    Bei den Huber-Bauersleuten war das ganz anders. Die waren nicht nur zärtlich zueinander, die waren liebestoll. Ganz besessen waren sie darauf, und Jakob schien, als würden sie es dauernd treiben und überall. Er kam dazu, wie der Bauer die Bäuerin am Küchentisch liebte, er musste mitansehen, wie ihre üppigen Leiber sich im Stroh rekelten, überraschte sie im Plumpsklo, sah erschrocken weg, als der Bauer seine Frau im Stehen von hinten nahm und erschrak fürchterlich, als er ihre wabernden Körper, Lende an Lende, im Stall entdeckte sowie an

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