Milchfieber
ersten tausend Euro sofort ab, nachdem Lissy bei Winkler eingezogen war.
„Der Rest ist vier Wochen nach der Hochzeit fällig“, meinte er noch, bevor er den Hof verließ.
Für Lissy hätte Horst jeden Preis bezahlt. Er hatte sich schon nach ein paar Minuten in sie verliebt. Und er war sicher, dass es ihr genauso gegangen war. Lissy war ein paar Jahre jünger als er, sie hatte 32 gesagt und er hatte nie daran zweifeln wollen. Ihr Alter war ihm auch egal, sie hätte auch zehn Jahre älter sein können. Lissy stammte aus Polen, sagte sie, „aus Dorohusk, einem gottverlassenen Dorf, direkt an Grenze zu Weißrussland“. Ihr Deutsch sei nicht perfekt, entschuldigte sie sich zu Beginn ihrer Beziehung dauernd bei Winkler, aber das war Winkler egal. „Das von mir isses auch nicht“, meinte er dann und freute sich über seinen Witz.
Lissy war nicht groß, hatte blond gefärbte Haare, ein schmales Gesicht und ihr magerer Körper ähnelte eher dem eines sehr jungen Mädchens als einer Frau von Anfang dreißig. Ihr Busen war klein und ihr Hintern „auch nicht der Rede wert“, scherzte sie, wenn sie manchmal im Badezimmer vor dem Spiegel standen. Aber Horst hatte keine besonderen Wünsche geäußert, als Peter nach Vorlieben fragte, schließlich wolle er ja gleich beim ersten Mal die Richtige vorbeibringen.
Peter Gerlach hatte Recht behalten, Lissy nahm Horsts Bitte, ihn zu heiraten, viel schneller an, als er es sich erträumt hatte. Er hatte erwartet, lange um sie werben zu müssen, Lissy aber war im Gegenteil sofort einverstanden gewesen. Es sei etwas Besonderes, hatte sie ihm ins Ohr geflüstert, so schnell einen Heiratsantrag zu bekommen, da könne man nicht Nein sagen, sie spüre es in ihrem Herzen, dass er der Richtige sei. Und um ihre Gefühle auf Horst zu übertragen, nahm sie seine Hand und legte sie auf ihre linke Brust. Horst war überwältigt gewesen. Schon kurz nach der Hochzeit ließ sich Horst Winkler erst einen Termin bei der Bank und dann beim Notar geben. Lissy erhielt Bankvollmacht über alle Konten, − das sei selbstverständlich, sagte er, als sie geschmeichelt meinte, das sei doch nicht nötig-, beim Notar setzte er ein Testament auf. Er setzte seine Ehefrau als Alleinerbin ein, sein Bruder ging darin leer aus.
Zwei Gründe gab es heute für ihn, Lissy mit einem Geschenk zu überraschen. Er war stolz auf sie, weil sie in seiner Abwesenheit den Hof zusammen mit seinem Bruder und Alex besser organisiert hatte, als er es im Krankenhaus erwartet hatte. Er hatte sich geschämt für sein Misstrauen und seine Angst, dass der Hof verlottern würde, solange er krank war. Dafür hatte er insgeheim Abbitte geleistet und sich vorgenommen, ihr etwas richtig Schönes zu schenken. Kurz hatte er an Blumen gedacht, aber das fand er schließlich abwegig. Wozu solle er in einem Blumenladen teure Schnittblumen erstehen, hatte er gedacht, wenn der ganze Garten voll davon sei.
Der zweite, noch wichtigere Grund war, dass es morgen sechs Monate her war, dass sie sich das erste Mal gesehen hatten.
Erst sechs Monate! dachte Winkler. Da ist mehr passiert als in den fünfunddreißig Jahren vorher.
Horst Winkler fuhr glückselig mit dem Auto über den Feldweg nach Hause. Er wählte meistens diesen Weg zurück aus dem Dorf, so konnte er schon von weitem seinen Hof sehen, für den es jetzt wieder aufwärts gehen sollte. Eine Zeit lang war er nicht so optimistisch gewesen. Vor ein paar Jahren hatte die Bauernfamilie noch komplett am Tisch gesessen, wenn Horsts Mutter zum Essen gerufen hatte. Es hatte zwar oft Ärger mit seinem Vater gegeben, weil der nichts von einer Übertragung des Hofes auf ihn wissen wollte, aber damit hatte Horst sich schließlich abgefunden. Die Zeit werde das schon regeln, hatte er immer gedacht und dann ging alles viel schneller als erwartet. Erst starb seine Mutter, dann heiratete seine Schwester und verließ den Hof. Als sein Vater beim Ausmähen der Zäune tot umfiel, waren sein Bruder und er plötzlich alleine und verfielen vor Trauer in eine Lethargie, die man dem Hof nach einem Jahr ansehen konnte. Der Garten und das Haus verlotterten, die Milchleistung bei den Kühen wurde weniger und viele neugeborene Kälber starben, weil niemand sich richtig um sie kümmerte. Horst wuchs die Arbeit über den Kopf, ihm wurde alles zu viel, selbst die Heu- und Silageernten, die immer seine Lieblingsarbeiten im Sommer waren, begann er zur falschen Zeit und erntete schlechte Qualitäten. Erst mit Lissys
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