Milchschaum
wieder anfuhr, sagte sie zu dem Jungen: »Bist du etwa Ministrant, Elmar? Ich bilde mir ein, ich hätte dich bei der Beerdigung des Bürgermeisters …«
»Ich hab den Rauch geschwenkt«, fiel ihr der Junge ins Wort.
»Das hast du aber gut gemacht«, sagte Fanni.
»Den Rauch kriegt nicht jeder«, kam es von hinten.
»Hast du ihn auch wieder heil in der Sakristei abgeliefert?«, fragte Fanni.
»Klaro.«
»Aber den Pfarrer habt ihr verloren auf dem Weg dorthin«, versuchte Fanni ihr Glück. Die Antwort, die aus dem Fond kam, ließ sie reflexartig auf die Bremse treten.
»Den hat auf dem Birkenplatz einer angequatscht, und mit dem ist er mitgegangen.«
»Frau Rot, die Einbiegung zum Erlenweiler Ring kommt erst da vorne!«, rief Ivo dazwischen.
Sie gab wieder Gas.
»Wer hat denn den Pfarrer angequatscht?«
»Kenn ich nicht.«
»Wie sah er denn aus?«
»Wie Indiana Jones.«
Fanni hielt in ihrer Zufahrt an.
»Danke fürs Mitnehmen, Frau Rot«, sagte Ivo höflich. Dann purzelten die beiden aus dem Wagen, nahmen die Abkürzung durch Fannis Garten und stoben über die Wiese zum Klein-Hof hinauf.
Hans Rot verließ gleich nach dem Mittagessen das Haus. Nicht um ins Büro zurückzukehren, das tat er freitagnachmittags nie, sondern um mit irgendwelchen Vereinsbrüdern nach Roggersing ins Dorfhaus zum Hoagarten zu fahren. Fanni hatte nie so recht verstanden, was eigentlich ein »Hoagarten« war, sie wusste nur, dass es sich dabei um ein gemeinsames Fest der Dorfbewohner handelte, auf dem getrunken und gegessen wurde.
Als die Haustür hinter ihrem Mann ins Schloss fiel, fragte sie sich, was wohl einen Hoagarten von einem Leichenschmaus unterschied.
Das Musikprogramm, Fanni! Und jetzt auf zum Gefecht mit Frau Praml!
Fanni ging hinaus, gesellte sich beiläufig zu den Krokussen, die, seit das Wetter umgeschlagen war, in dichten Polstern blühten, und genoss die Mittagssonne.
»Man könnte sich glatt in den Liegestuhl legen«, kratzte es bereits nach zwei Minuten vom Nachbargrundstück herüber.
Als Fanni sich umdrehte, stand Frau Praml schon neben ihr.
»Wie wär’s mit einer Tasse Kaffee bei mir im Wintergarten, da ist es im Moment wärmer als auf Mallorca«, schlug Fanni vor.
Noch bevor sie ausgeredet hatte, steuerte Frau Praml auf die Haustür der Rots zu. Fanni folgte ihr. Frau Pramls Hinterkopf leuchtete karmesinrot in der Sonne.
Sie hat sich frisch einfärben lassen, dachte Fanni, frauenbundrot.
Elsie Kraft, Rosie Hübler, Frau Praml, Frau Beutel, Frau Weber, alle ließen sich die Haare in Rottönen färben – die Skala erstreckte sich von Kupfer bis Mahagoni.
Fanni drängte das Lachen zurück, das ihre Kehle attackierte, als ihr einfiel, welches Wort Donna Leon in einem ihrer Brunetti-Krimis für die rötliche Haarfarbe von Frauen mittleren Alters kreiert hatte: klimakteriumrot!
Fanni wusste, dass Hans Rot auch sie gern mit dieser Haarfarbe gesehen hätte. Sie wusste, dass Hans Rot sie ganz oben auf die Liste der schlechtest angezogenen Menschen gewählt haben würde. Trotzdem trug Fanni hauptsächlich Erdfarben, verzichtete weitgehend auf Schmuck, ließ sich die Haare kurz schneiden und nicht das kleinste Strähnchen Couleur hineinfärben.
Ein Glitzersteinchen hier, ein Goldkettchen da, ein Spitzenbesatz darunter, ein Silberfuchskragen darüber, das würde Hans Rot an mir gefallen, dachte Fanni. Bin ich eine Schaufensterauslage?
»Wissen Sie es schon?«, fragte Frau Praml, während sie die Haube aus Milchschaum von ihrem Latte macchiato löffelte.
Fanni hoffte, Frau Pramls Es würde sich als brauchbare Information erweisen, und lächelte ihre Nachbarin aufmunternd an.
»Togo-Franz übernimmt das Amt unseres verstorbenen Herrn Pfarrers mindestens noch bis Ostern«, verkündete Frau Praml.
Fanni ließ ernüchtert die Mundwinkel sinken. »Ja, wer denn sonst«, murmelte sie ein wenig unwirsch. Sie war ganz automatisch von einer derartigen Entwicklung ausgegangen, als sie zusammen mit Sprudel die Termine des amtierenden Pfarrers von Birkdorf im Pfarrbrief nachgesehen hatte.
Frau Praml sah sie entsetzt an. »Also, Frau Rot! Wo er doch so schlecht Deutsch spricht. Und überhaupt. Stellen Sie sich vor, Sie müssen beichten. Würden Sie vor so einem fremden Kraut im heimischen Blumengarten Ihr Innerstes nach außen kehren wollen?«
Fanni musste nicht beichten. Als sie vor mehr als dreißig Jahren von Professor Heimeran schwanger geworden war und daraufhin überstürzt Hans Rot heiratete, hatte sie
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