Milchschaum
Zeugen persönlich befragen.
Fanni berichtete in kurzen Sätzen, was ihr am Nachmittag des 20. Februar widerfahren war.
Liebig schrieb sich ein, zwei Zeilen auf, dann sagte er: »Vielen Dank, Frau Rot. Sie ahnen nicht, was mir die Birkdorfer so alles vorkauen. Stundenlang höre ich mir Klatsch und Tratsch an, ohne eine einzige relevante Information zum Fall zu bekommen. Bislang ist es mir noch nicht mal gelungen, die Ministranten ausfindig zu machen, die zusammen mit Pfarrer Winzig vom Friedhof zur Sakristei gelaufen sind. Dabei brauche ich dringend ihre Aussagen.
Fanni und Sprudel sahen den Kommissar verblüfft an. Der tat, als würde er scharf nachdenken. Dann rief er: »›Der Ludwig hat ministriert bei der Beerdigung vom Bürgermeister. Schmarrn, der Ludwig doch nicht, der hat doch Mandelentzündung gehabt. Dann war’s der Maier Sepperl, ja, der war dabei. Krampf, der ist doch noch gar nicht so weit, bei Beerdigungen darf der noch nicht ministrieren …‹ Und so weiter und so fort.«
Sprudel lachte kurz auf, dann sagte er ernst: »Die Beerdigung ist immerhin schon zwei Wochen her. Und Ministranten sind wie Statisten, sie werden nur über ihren Beitrag zum Stück definiert.«
Liebig nickte seufzend. »Dass die Ermittlungen erst so spät begonnen haben, macht die Sache auch nicht leichter. Wenn der gerichtsmedizinische Befund früher vorgelegen hätte … Aber man sah keinen Grund zu Eile, weil der Arzt, der zu dem Toten gerufen wurde, prinzipiell von einer natürlichen Todesursache ausging.«
Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte. Liebig deutete eine leichte Verbeugung vor Fanni an, tippte vor Sprudel an einen imaginären Mützenrand und hob ab.
Sympathischer Junge, dachte Fanni.
Glaub bloß nicht, dass er dich – nur weil er so nett war – als Täterin ausschließt! Auch wenn er dich im Moment keines Verbrechens bezichtigt, ist ihm klar, dass du am Tatort warst, und sicher ist ihm schon zugetragen worden, was du von Pfarrer Winzig gehalten hast!
»Fanni«, sagte Sprudel, als sie auf die Straße traten, »nachdem das Gespräch mit Marco Liebig derart zügig vonstattenging, müsste ein Loch in deinem Zeitplan klaffen. Wie wäre es mit einem kleinen Abstecher zum Hütterl?«
»Ein Stündchen müsste schon noch drin sein«, antwortete Fanni.
Letztendlich blieb ihnen nur ein halbes, weil sie die Wegstrecke nicht mit einberechnet hatten. Eine Zugabe konnten sie sich nicht leisten, denn Schlag zwölf würde Hans Rot am Erlenweiler Ring durch die Haustür treten und damit rechnen, einen gedeckten Tisch vorzufinden mit Hähnchenbrust in Sahnesoße auf seinem Teller.
Fanni und Sprudel setzten sich in die Sessel, tranken jeder ein Glas von dem Brunnenwasser, das Sprudel draußen holte, und sprachen über Vorurteile.
»Du solltest deine weit wegsperren, bevor du dich an Togo-Franz heranmachst«, sagte Fanni, als es Zeit wurde zu gehen.
»Ich hege gegen Ausländer nicht das kleinste Vorurteil«, beschwerte sich Sprudel.
»Wer redet denn von Ausländern?«, fragte Fanni.
»Ertappt«, gab Sprudel zu. »Es fällt mir wirklich nicht leicht, einem Priester noch neutral gegenüberzutreten, nachdem ich im letzten Jahr vor meiner Pensionierung zweimal wegen Kindesmissbrauchs durch einen Geistlichen ermitteln musste.«
Fanni nickte. Solche Missbrauchsfälle standen schier täglich in der Zeitung, warum sollte ausgerechnet Sprudel von Ermittlungen in einem oder mehreren verschont geblieben sein?
»Vielleicht fällt es mir bei Togo-Franz leichter, unparteiisch zu bleiben, weil … weil er aus Afrika kommt«, sagte Sprudel.
»Ah«, entgegnete Fanni, »du hegst also doch ein Vorurteil gegen Ausländer.«
Schmunzelnd versperrte Sprudel das Hütterl.
Am Nachmittag wollten sie getrennt ermitteln. Sprudel sollte versuchen, Togo-Franz zu kapern, und Fanni sollte Frau Praml aushorchen.
Als Fanni die Hauptstraße entlangfuhr, die sie zur Abzweigung nach Erlenweiler bringen würde, sah sie auf dem Gehsteig zwei Jungen mit Schulranzen auf dem Rücken dahintraben.
Ist das nicht Ivo?
Fanni hielt an. »Ivo?«
»Hallo, Frau Rot«, rief der Junge, den Bene Klein an Sohnes statt angenommen hatte. »Nehmen Sie uns mit heim? Das ist Elmar. Er isst heute bei uns mit, weil seine Mama seine dritte Schwester kriegt.«
Die Jungen drängten sich auf die Rückbank. Fanni warf einen Blick auf Elmar und gleich darauf noch einen zweiten: roter Haarschopf, Quadratschädel. Hatte nicht so einer das Weihrauchfass …?
Als sie
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