Milchschaum
Kumpane haben es zusehends wilder getrieben, sich Rennen geliefert – Sie wissen schon.« Frau Praml seufzte. »Elsies Bruder hat nicht mehr lang genug gelebt, um zur Vernunft zu kommen. Eines Tages – er war noch keine zwanzig – ist ihm die Birke auf dem Birkenplatz zum Verhängnis geworden. Dort haben sie sich immer getroffen, bei der alten Birke auf dem Birkenplatz in unserem Dorf.«
Plötzlich kam Fanni die Erinnerung daran. Der Unfall hatte sich 1978 ereignet. Leni und Leo hatten gerade die Windpocken gehabt, und Fanni war mit Vera schwanger gewesen. Hans Rot erschien jeden Tag mit neuen Gerüchten: Der Bub sei sturzbesoffen gewesen; der Bub hätte gewettet, mit seinem Motorrad die Birke zu Fall bringen zu können; der Lenker der Maschine sei manipuliert worden.
Die Spekulationen über den Unfall wurden immer abenteuerlicher. Das Resultat blieb dasselbe. Der Jung war tot, die Birke erholte sich.
»Der andere Bub, der jüngere«, erzählte Frau Praml indessen weiter, »trieb’s noch übler. Er ist Tag und Nacht mit einer Schlägerbande herumgezogen, die haben Hauswände beschmiert, Passanten angepöbelt und bei jeder Gelegenheit zugedroschen. Drei Tage nach seinem achtzehnten Geburtstag hat ihn sein Vater erhängt in der Scheune gefunden. Es hat immer geheißen, er hätte es selber getan, aber«, Frau Praml stach ihren Zeigefinger in das Bambusset, das Fannis Glastisch vor Kaffeerändern schützen sollte, »ich will die gestrige Ausgabe vom Birkdorfer Anzeiger fressen, wenn da keiner nachgeholfen hat. Die Typen haben sich doch laufend gegenseitig bekriegt.«
Fanni nickte. 1979 war das gewesen. Zwei Tage nach Veras Geburt. Hans hatte ihr im Krankenhaus davon erzählt. Er vertrat allerdings die Theorie, dass Birkdorfer Bürger den Buben aufgehängt hätten, um ein Exempel zu statuieren; um der Gang zu zeigen, was mit denjenigen passiert, die Birkdorfer Häuser beschmieren und Birkdorfer Leute anpöbeln.
»Zu Recht haben sie ihn aufgehängt, den Strolch«, hatte Hans Rot damals gesagt.
Auch hier blieb das Resultat dasselbe. Der Bub war tot, die Häuser und die Leute erholten sich wieder.
»Nachdem beide Söhne begraben waren«, sagte Frau Praml, schob das leere Glas samt Bambusset von sich weg und lehnte sich zurück, »hätte man meinen können, dass die Eltern Elsie nun wie ihren Augapfel hüten würden. Aber genau das Gegenteil war der Fall. Sie haben Elsie getriezt und schikaniert, als wollten sie ihr die Schuld am Tod der Buben geben. Der Vater hat von Woche zu Woche gröber zugeschlagen, wenn ihn die Wut angepackt hat. Haben Sie schon einmal bemerkt, dass die Elsie ihren Pony bis zur Nasenwurzel herunterkämmt? Da gibt es eine hässliche Narbe zu verdecken. Kein Wunder also, dass sie den erstbesten Heiratsantrag vom erstbesten Kandidaten angenommen hat.«
»Hat sie es denn mit dem Kraft nicht gut getroffen?«, fragte Fanni.
»Na, wie man’s nimmt«, antwortete Frau Praml. »Er sitzt auf einem ordentlichen Posten im Bauhof, er trinkt nicht und randaliert nicht, aber er interessiert sich halt viel mehr für seine Bienenvölker als für seine Familie.«
»Elsies Kinder müssen ja schon fast erwachsen sein«, warf Fanni ein.
»Das Mädel ist siebzehn«, bestätigte Frau Praml. »Ein anständiges Kind, arbeitet als Zahnarzthelferin. Aber der Bub …«
»Schwierig?«, half Fanni nach.
»Ungeraten«, sagte Frau Praml. »Sieht ganz so aus, als käme er nach seinen Onkeln – vor allem nach dem mit dem Motorradspleen. Mit vierzehn hat er so lange genörgelt, bis er ein Moped bekam, das hat er dann auffrisiert. Mit sechzehn wollte er einen Roller. Den hatte er gerade mal zwei Wochen, dann konnte er mit seiner Maschine jeden Kleinwagen überholen.« Frau Praml wiegte nachdenklich den Kopf.
»Ich glaube, man muss es als Glücksfall ansehen«, meinte sie dann, »dass er nach dem Hauptschulabschluss eine Lehrstelle als Kfz-Mechaniker gefunden hat. Die Arbeit an Motoren liegt ihm. Aber er ist halt keiner, der sich mit dem begnügen kann, was er hat. Er will immer mehr, und er will es geschenkt. Schon bald nach der Gesellenprüfung hat er damit angefangen, Elsie die Ohren vollzulamentieren, dass er die Meisterprüfung machen und eine eigene Werkstatt eröffnen wolle. ›Woher sollen wir das Geld dafür nehmen?‹, hat ihn Elsie gefragt. Darauf ist er ihr die Antwort nicht schuldig geblieben. ›Das erben wir‹, hat er verkündet. ›Ihr zwei, du und die Rosie, ihr erbt doch das Haus von der Tante
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