Milchschaum
erschlagen, und dann hat er die Figur wieder an ihren Platz zurückgelegt, als wäre nichts geschehen?« Er schluckte. »Ganz schön dreist.«
»Womöglich ist meine Theorie viel zu weit hergeholt«, gab Fanni zu. »Aber was könnte es schaden, den Engel auf Spuren zu untersuchen.«
Und was hättest du da gern? DNS vom Täter, Blut vom Opfer? Mach dich nicht lächerlich, Fanni, Gewebespuren jeder Art wären längst zersetzt – Bakterien, Käfer, Würmer …!
Jonas rückte seine Schale ein Stück vom Grab weg, trat einen Schritt näher, beugte sich über den Engel und streckte die Hand aus.
»Das würde ich nicht tun«, rief Fanni.
Jonas erstarrte und sah zu ihr hoch.
»Stell dir vor«, sagte Fanni, »der Engel ist die Tatwaffe. Möchtest du, dass deine Fingerabdrücke drauf sind?«
Jonas zog seine Hand zurück. »Geil«, murmelte er. »Sie sind echt krass, Frau Rot. Klar, sonst hätten Sie damals den Mord an Mirza nicht aufgeklärt.«
»Wir sollten Kommissar Liebig anrufen«, sagte Fanni. »Hast du ein Handy, Jonas?«
Jonas zückte es. Er hatte sogar Marcos Nummer eingespeichert. Fanni überließ es ihm, dem Kommissar von dem Fund zu berichten. Sie ging in die Hocke und betrachtete den Engel noch einmal eingehend.
Vielleicht sind Spuren drauf.
Nach drei Wochen Regen und Schnee? Träum weiter, Fanni!
Sie hörte, wie Jonas sagte: »Hey, klar, bis dann, Alter«, und richtete sich auf.
»Marco schickt einen von der Spusi, der den Engel abholt«, berichtete Jonas. »Ich soll auf ihn warten.«
Fanni nickte. Sie nahm ihre Gießkanne auf und wollte gehen, als ihr einfiel zu fragen: »Woher kennst du Marco Liebig eigentlich so gut?«
»Wir sind beim Wehrdienst zusammen auf einer Stube gewesen«, antwortete Jonas. »Da haben wir uns angefreundet, weil ich ein Waffennarr bin und Marco Waffen verabscheut.«
»Aha«, machte Fanni verwirrt.
Jonas lachte laut. »Ich hab mich um Marcos Gewehr gekümmert, und er hat dafür sämtliche Formulare und Anträge für mich ausgefüllt.« Ein bisschen verlegen setzte er hinzu: »Ich hab es nicht so mit dem Schreibkram.«
Das schienen die Lehrkräfte am Deggendorfer Comenius-Gymnasium auch schnell gemerkt zu haben, nachdem Jonas von der Grundschule dorthin übergetreten war. Noch bevor er die mittlere Reife erreicht hatte, war er geschasst worden. Wegen des Schreibkrams – vor allem aber wegen seiner Faxen.
»Seit Marco Kommissar ist«, erzählte Jonas weiter, »kommt er um eine Dienstwaffe nicht herum. Manchmal geb ich ihm ein bisschen Nachhilfe – in Waffenkunde und so. Schließlich bin ich gelernter Büchsenmacher.«
Sie sind erwachsen geworden, die Kinder vom Erlenweiler Ring!
Leo und Leni, Vera, Jonas, Bene … Jonas ist fünf Jahre jünger als Leni und Leo. Demnach muss er jetzt – achtundzwanzig muss er sein.
Er ist achtundzwanzig, verheiratet, hat zwei Kinder, und du duzt ihn!
Ich kenne Jonas, seit er Windeln trug. Soll ich ihn plötzlich siezen? Er würde mich für verrückt erklären.
Aber er siezt dich!
Fanni entschloss sich, ein andermal darüber nachzudenken, ob das ein Problem darstellte oder nicht. Sie musste nach Hause. In weniger als zwei Stunden würde ihr Mann zum Mittagessen heimkommen. Vorher wollte sie noch mit Frau Praml sprechen. Ihr gingen ein paar Fragen im Kopf herum, die ihr Frau Praml wohl beantworten konnte.
Zum einen wollte Fanni wissen, ob dem Frauenbund auch vierzehnjährige Mädchen angehörten, zum anderen wollte sie sich erkundigen, wie es Frau Praml und Rosie beim Zweigesammeln für die Drahthühner ergangen war.
Es traf sich wie bestellt: Frau Praml rückte gerade mit einem Besen, den sie an einem Teleskopstiel befestigt hatte, den Spinnweben zwischen Dachüberstand und Backsteinmauer ihres Hauses auf der Rot’schen Seite zuleibe, als Fanni in ihre Zufahrt bog.
»Ich finde, das ist Männerarbeit«, kreissägte Frau Praml durchdringend, während Fanni ausstieg, und lehnte den Stiel an die Mauer.
»Verschnaufpause?«, fragte Fanni. Sie deutete auf ihre Haustür.
Frau Praml sprintete über den Rasen.
Eine knappe Stunde und zwei dicke Milchschaumhauben später hatte Fanni ihre Antworten.
19
Hans Rot schaufelte seine Spaghetti bolognese derart schweigsam in sich hinein, dass Fanni die Gewissheit beschlich, ihr Mann müsse noch immer unter seinem Kater leiden. Er trank sein Bier nur zur Hälfte aus und verzog sich wieder ins Büro.
Fanni packte die Zwetschgenbavesen für Sprudel ein, die sie zubereitet hatte,
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