Milchschaum
muss man keine Angst haben, dass er tratscht.« Ernst sprach er weiter: »Ich habe ihm dann auch noch berichtet, wie Winzig und Holler nach all den Jahren wieder zusammengetroffen sind und was sich dabei abgespielt hat.
Jedes Mal, wenn ich daran denke, muss ich mich darüber wundern, das niemand die beiden auf dem Weg zum Friedhof gesehen hat. Togo-Franz hat dazu gemeint: ›Vielleicht sind sie sehr wohl gesehen, nur nicht wahrgenommen worden.‹ So arbeitet es doch, das menschliche Auge. Bestimmte Bilder stuft es als bedeutungslos ein und kehrt sie unter den Teppich. Togo-Franz muss ähnliche Überlegungen angestellt haben, denn plötzlich hat er ganz erstaunt geschaut.«
Sprudel beugte sich vor und hielt Fannis Blick fest. »Ihm ist auf einmal eingefallen, dass er – kurz nachdem Pfarrer Winzig erschlagen worden sein musste – Rosie Hübler gesehen hat. Aber damals hat er das Bild als bedeutungslos eingestuft.«
Sprudel nickte zwei-, dreimal vor sich hin. »Er hat es deshalb als bedeutungslos eingestuft, weil Rosie in der Friedhofskapelle die Topfpflanzen gegossen hat. Die Kapelle ist ihr Revier. Nach jeder Beerdigung ist sie dort anzutreffen. Warum also nicht auch nach der des Bürgermeisters?«
»Sie war da, sie war noch auf dem Friedhof!«, rief Fanni. »Ich wusste es, ich wusste es!«
Sprudel überging ihren Ausruf. »Rosie hat gelogen«, sagte er. »Ich kenne nämlich die Vernehmungsprotokolle. Sie hat ausgesagt, dass sie vom Grab direkt zum Dorfwirtshaus gegangen ist.«
Er schrieb »Machte falsche Angaben« unter den Namen »Rosie Hübler«.
»Rosie hat eine ganze Menge betrogen und gelogen«, meldete sich Fanni zu Wort. »Und sie hatte ein Riesenglück, dass sie damit nicht aufgeflogen ist.«
Sie begann an den Fingern aufzuzählen. »Im Fall Winzig behauptet sie, nach der Beerdigung sofort ins Dorfwirtshaus gegangen zu sein. Dagegen sprechen zwei Dinge: die Beobachtung von Togo-Franz und eine überzählige Portion Schweinebraten.«
»Schweinebraten?«
»Am Tisch des Frauenbundes wurden beim Leichenschmaus für die fünfzehn angemeldeten Frauen fünfzehn Portionen Schweinebraten serviert. Eine blieb übrig. Das hätte eigentlich auffallen müssen, und alle hätten sich gefragt, wer fehlt. Aber Rosie hatte eben Glück. Frau Pramls Tochter war früher als geplant aus Fischerdorf zurückgekommen, wo sie Reitstunden nimmt. Sie ist in Birkdorf aus dem Bus gestiegen, der direkt vor dem Dorfwirtshaus hält, und ist hineingegangen, um sich den Hausschlüssel zu holen. Sie wusste, dass ihr zu Hause niemand öffnen würde. Ihr Bruder war bei einem Freund. Ihr Vater saß im Dorfwirtshaus am Tisch des Gemeinderats und ihre Mutter am Tisch des Frauenbundes. Frau Pramls Tochter trat, kurz nachdem der Schweinebraten serviert worden war, zu dem Platz ihrer Mutter und verkündete, sie habe auch Hunger. Frau Praml wollte dem Mädchen ihre eigene Portion abtreten, aber eine Tischnachbarin sagte: ›Nimm doch die hier, sonst wird sie bloß kalt.‹ Frau Pramls Tochter setzte sich und aß. Damit waren alle Plätze belegt, und wenig später waren alle Teller leer. Das Praml-Mädchen ging nach Hause.
Und kotzte!
Aber wieder fiel niemandem was auf, denn gleich darauf saß Rosie da. Frau Praml hatte sie kurz zuvor mit einem der Pfarrgemeinderäte an der Tür stehen sehen. Sie dachte natürlich, Rosie wäre von Anfang an dabei gewesen und von dem Herrn in ein Gespräch verwickelt worden. Alle dachten, Rosie sei von Anfang an im Wirtshaus gewesen und machten entsprechende Aussagen.«
»Aber Rosie war noch eine ganze Zeit lang auf dem Friedhof«, stellte Sprudel fest.
»Ja«, sagte Fanni, »und dort hat Rosie den Togo-Franz gesehen und auch mich!«
»War sie es …?«
»Ja«, nickte Fanni. »Rosie hat ausgesprengt, dass ich den toten Pfarrer gefunden habe. Sie wusste es! Frau Praml hat sie es bereits am nächsten Tag gesteckt. Rosie wusste sogar, was für eine Bedeutung man dem beimessen konnte, als noch niemand ahnte, dass der Pfarrer erschlagen worden war. Später hat sie mich vor dem Frauenbund als verdächtig hingestellt.«
»Hat sie auch …?«
»Ja«, nickte Fanni wieder. »Rosie hat gestreut, Togo-Franz hätte abgestritten, dass er sich zur Tatzeit auf dem Friedhof befand.«
Sprudel wollte etwas bemerken, aber Fanni ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Am Tag des Hüttenbrands hatte der Frauenbund Bastelstunde von zwei bis fünf. Rosie und Frau Praml verließen die Runde allerdings schon um vier, um
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