Miles Flint 04 - Das Marsgrab
etwas brauchte, dann beschaffte er es sich mit Hilfe von Schmeicheleien, Drohungen oder durch glatten Diebstahl.
Die Bürger der Saharakuppel hassten diese neue Siedlergruppe, und bald schon fürchteten sie, nicht zu Unrecht, diese Leute könnten die Macht über die Kuppel an sich reißen. Bouyzons Anhänger sprachen hingegen von einem »demokratischen Prozess« – sie forderten freie und gleiche Wahlen, wohl wissend, dass sie als bevölkerungsstärkste Gruppe wenigstens ein paar Sitze in dem zunehmend größer werdenden Rat erhalten würden.
Doch als die Wahlen abgehalten wurden, kam es zu Übergriffen auf Bürger der Kuppel. Manche etwa »verloren« ihre Kinder für einige Tage, die Kinder kehrten mit einer Botschaft zu ihren Eltern zurück. Wieder andere wurden direkt aufgefordert, sich nicht in die Wählerliste eintragen zu lassen oder keine Stimme abzugeben.
Bald war klar, dass Bouyzon und seine Gefolgschaft bei diesen »freien und gleichen« Wahlen einen erdrutschartigen Sieg einfahren würden.
In seinem Memorandum versuchte Allard, genau diesen Punkt abzustreiten. Er behauptete, die Berichterstattung über den Ablauf der Ereignisse sei verzerrt – er und seine Familie, seine ganzen Leute seien gute Menschen mit den besten Absichten für die Saharakuppel gewesen, die Kuppelregierung sei jedoch korrupt gewesen, und die Übergriffe hätten nicht Bouyzon und seine Freunde zu verantworten, sondern eben jene korrupte Kuppelregierung.
Die Wahrheit verlor sich irgendwo in der Mitte, und Scott-Olson hatte keine Zeit, ihr weiter nachzuspüren.
Aber sie fand heraus, dass die ursprüngliche Bevölkerung der Saharakuppel irgendwann beschlossen hatte, die Dinge in die eigenen Hände zu nehmen.
Im Zuge eines geheimen Treffens, das zu später Nachtstunde stattfand, erklärte der Rat der Saharakuppel seine Zustimmung zu einem Bürgerwehrkomitee, das sich um Bouyzon und seine Siedler »kümmern« sollte. Einige der Ratsmitglieder wollten auf gar keinen Fall, dass es zum Einsatz von Gewalt käme, und wiesen darauf hin, dass auch Kinder betroffen seien. Also handelten die Anführer des Komitees eine Art Kompromiss mit dem Rat aus, der besagte, dass Kinder von bis zu vier Jahren verschont bleiben sollten. Sie sollten in Pflegefamilien gegeben und später zu außerweltlichen Verwandten geschickt werden. Die übrigen Kinder – die, die keine Familie mehr haben würden – sollten auf eine Mission zu marsfernen Welten geschickt werden, um anderenorts unter der Bedingung aufzuwachsen, dass sie nie mehr zum Mars zurückkehrten.
Aus irgendeinem Grund war der Rat damit zufrieden, und unter den Angehörigen des Rates gab es nicht wenige, die lieber nicht genau wissen wollten, was das Bürgerwehrkomitee im Einzelnen zu tun beabsichtigte.
Da Ponte behauptete nun, das Bürgerwehrkomitee habe den Rat belogen, weil es gewusst habe, dass niemand ihrem wahren Vorhaben zustimmen würde. Der eigentliche Plan war einfach: Man hatte vor, sich jeweils eine Familie aus der Bouyzon-Gruppe zu schnappen und sie unter Bewachung zu einer vorher ausgehobenen Grube am Rand der Kuppel zu bringen. Diese Grube sei tief gewesen, berichtete da Ponte, damit die guten Bürger der Saharakuppel nicht riechen müssten, was unter dem Sand verborgen sei.
Dann habe das Bürgerwehrkomitee ganze Familien gezwungen, in die Grube zu klettern, wo ein Familienmitglied nach dem anderen, vom Ältesten bis zum Jüngsten, erschossen worden sei. So manches Mal sei ein Elternteil tot zusammengebrochen und habe noch immer ein atmendes Kind in seinen Armen gehalten.
Am Ende seien dann die Angehörigen der Bürgerwehr in das Loch geklettert und hätten die lebenden Kinder herausgeholt, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, sie vom Blut ihrer toten Eltern und Verwandten zu säubern, ehe sie die Kinder zu ihrer so genannten Pflegestelle gebracht hätten.
Mein älterer Bruder – er war sechs – stand neben mir, berichtete Allard in einem der Videointerviews mit bebender Unterlippe. Er hat meine Hand gehalten.
Da hatten sie schon mehr als ein Dutzend Familien getötet, Menschen, die wir alle kannten. Sie lagen in dem orangefarbenen Sand, und da, wo ihre Körpermitte gewesen war, war nichts mehr. Die Waffen des Komitees waren für maximale Verletzungen ausgelegt. Die Wunden waren nicht so klein wie die, die die meisten Laserwaffen hinterlassen hätten. Sie rissen mächtige Löcher in den Leib der Menschen, sodass alles um die Sterbenden und Toten herum von einer warmen,
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