Miles Flint 04 - Das Marsgrab
Sie uns gegen die Disty ausgespielt haben, und Sie werden sich kurz fassen. Wir brauchen Zeit, um die Situation zu bereinigen.«
»Ich bin überzeugt, wenn ich fertig bin, wird die einzig notwendige Veränderung darin bestehen, uns etwas Feuerkraft zum Schutz unserer Raumgrenzen zu beschaffen«, unterstrich DeRicci.
»Feuerkraft?«, wiederholte die Generalgouverneurin. »Sie glauben ernsthaft, wir würden auf wehrlose Disty-Schiffe schießen?«
»Es geht um Leben und Tod, Celia!«, sagte DeRicci, wobei sie den Vornamen der Generalgouverneurin als Waffe benutzte, genau wie diese es mit ihrem Vornamen getan hatte. »Wir werden tun, was immer nötig ist, um jedes einzelne Leben auf dem Mond zu schützen – Menschen, Disty, Peyti, Rev, das ist nicht von Bedeutung. Wir sind für jedes Leben auf dem Mond verantwortlich, und wir müssen diese Verantwortung sehr ernst nehmen.«
Die Generalgouverneurin schüttelte leicht ihren Arm. Als DeRicci losließ, rieb sie sich demonstrativ mit der anderen Hand den Arm.
»Berufen Sie Ihr Treffen ein!«, sagte sie. »Sie haben exakt fünfzehn Minuten, um uns zu überzeugen.«
47
I rgendwann, während Scott-Olson noch versuchte, sich einen Überblick über die vor ihr liegende Arbeit zu verschaffen, schloss sie die Tür zu ihrem Büro. Jetzt, wo sie Allard da Pontes Memorandum durchging, fühlte sie sich beinahe, als dringe sie in verbotenes Datenmaterial ein.
Sie ließ die Wandschirme und alle neuen Links deaktiviert, aber ihre persönlichen Kommunikationslinks blieben offen. Sie rechnete jeden Moment damit, ins Labor gerufen zu werden.
Je tiefer sie sich in da Pontes Doku vertiefte, desto mehr wünschte sie, jemand würde sie rufen. Sie fing an zu verstehen, warum man diesen Vorfall in den geschichtlichen Aufzeichnungen des Mars unerwähnt gelassen hatte.
Da Pontes Memorandum war ein Kunstwerk. Er hatte Fotografien, Zeichnungen, zusammengeschnittene Videos und andere Informationen angesammelt, die sich über das ganze Dokument verteilten.
Und er hatte alles, was er selbst durchgemacht hatte, noch einmal nachrecherchiert. Er zitierte fremde Quellen, Nachrichtenmeldungen, Historiker und ehemalige Liveübertragungen, um seine Behauptungen zu belegen.
Nachdem Scott-Olson zwei Stunden lang gelesen und zugeschaut hatte und einigen Verweisen gefolgt war, war sie imstande, den Ablauf des Geschehens nachzuverfolgen:
Vor einhundert Jahren siedelte in der Saharakuppel eine in sich geschlossene Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft war von Menschen gegründet worden, die an den polaren Eiskappen schürften und das gewonnene Wasser zu neuen Bauprojekten überall auf dem Mars brachten. Nach und nach entwickelte sich eine blühende Gemeinschaft von Minenarbeiterfamilien und deren Nachfahren, eine Gemeinschaft, die in ihren Überzeugungen, ihrer Religion und ihren Vorstellungen erstaunlich homogen war.
Aber die Kuppelführer waren der Ansicht, die Kuppel müsse expandieren, und Expansion erforderte zusätzliches Kapital. Die einzige Möglichkeit, neues Kapital in die Stadt zu holen, bestand darin, neue Industrien anzusiedeln, was sie umgehend taten. Plötzlich hatte die Saharakuppel Geld und fing an, die Kuppel selbst auszubauen. Ehe die Bewohner noch mit dieser Aufgabe fertig geworden waren, öffneten sie jedoch schon ihren Hafen für den außerweltlichen Raumflugverkehr.
Das war ihr erster Fehler.
Der zweite Fehler war, dass sie kein wie auch immer geartetes Zollsystem eingeführt hatten.
Eine Gruppe Menschen, die kurz zuvor von Europa verbannt worden war, weil sie versucht hatte, innerhalb außerirdischer Gesellschaften, die das Konzept nicht begreifen konnten, eine Demokratie »wachsen« zu lassen, brauchte eine neue Heimat. Deren Anführer, ein Jorge Bouyzon, stieß irgendwie auf die Saharakuppel, ihre Exportgeschäfte und die neuen Industrien, und dachte, dort könnten seine Leute die noch im Aufbau befindliche Regierung übernehmen.
Bouyzons großer Fehler war, dass er seine Absicht in dem Moment verkündete, in dem seine zweihundert Gefolgsleute und er in der Saharakuppel eintrafen. Die Siedler übernahmen eine verlassene Kirche am äußeren Rand der Kuppel und fingen sogleich an, Grundbesitz in dem bisher noch unbebauten Abschnitt der Kuppel zu erwerben.
Scott-Olson überflog das erste Jahr, ein stetes Auf und Ab, doch selbst bei dieser oberflächlichen Art, sich Informationen anzueignen, fiel es ihr nicht schwer zu erkennen, dass Bouyzon niemals verhandelt hatte. Wenn er
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