Miles Flint 04 - Das Marsgrab
seinen Feinden.
»Sie würden also Ihre Zukunft auf einem Bericht aus einer uralten Nachrichtensendung aufbauen?«, fragte er, sorgsam um einen ruhigen Tonfall bemüht.
Sie zuckte mit den Schultern. »Ihr Lokalisierungsspezialisten gebt euch gern geheimnisvoll. Ich tue, was ich kann, um die beste Person für die Aufgabe zu finden. Aber Sie wollen diesen Auftrag auch nicht übernehmen, richtig?«
Er hatte keine Angst vor den Disty – jedenfalls nicht in der Form, in der die Lokalisierer auf dem Mars sie fürchteten. Und er war fasziniert von dem Fall, aber er hatte auch noch eine Menge Vorbehalte.
»Ich treffe Entscheidungen nicht aus dem Stegreif«, erklärte er.
Ihre Schultern sackten herab. Sie sah beinahe aus, als wäre sie in sich selbst versunken.
»Aber«, fuhr er fort, »ich nehme einen Vorschuss an und überprüfe alles, was Sie mir erzählt haben. Erweist sich das als korrekt, dann übernehme ich den Fall.«
Für einen Moment regte sie sich nicht. Dann hob sie den Kopf und öffnete leicht den Mund. »Was?«, flüsterte sie.
»Ich werde Sie überprüfen«, sagte er. »Sie und die Disty und die Stammesangehörigen und Ms. Jørgen. Wenn mich das, was ich herausfinde, zufrieden stellt, übernehme ich den Fall. Wenn nicht, behalte ich den Vorschuss als Bezahlung für die aufgewendete Zeit ein und schicke Sie zu einem Kollegen.«
»Das wollen Sie tatsächlich tun?« Ihre Stimme wurde wieder etwas lauter. »Wirklich?«
Er war nicht sicher, ob sie ihm zugehört hatte. Oder falls sie es hatte, ob sie ihn auch verstanden hatte. »Ich habe nicht gesagt, dass ich den Fall bereits jetzt übernehme.«
»Aber Sie hören mir wenigstens zu! Sie werden feststellen, dass ich Sie nicht belogen habe. Oh, Mr. Flint, ich kann Ihnen gar nicht genug danken!«
»Ihr Dank interessiert mich nicht«, meinte er, »mich interessiert das Geld auf meinem Konto.«
»Richtig«, sagte sie wie benebelt. »Richtig. Geld.«
Sie ergriff seine Hand. Die Wärme ihrer Haut erschreckte ihn. Er konnte sich nicht erinnern, wann ihn das letzte Mal jemand freiwillig angefasst hatte.
»Danke«, flüsterte sie, »danke, dass Sie mir die Chance geben, mein Leben zu retten!«
12
N oelle DeRicci stand vor den deckenhohen Fenstern in ihrem neuen Büro. Es roch nach frischer Farbe und Lack. Sie hatte die Umweltkontrollen schon vor zwei Tagen aktiviert, aber es hatte nicht geholfen. Der Gestank war immer noch da.
Die Fenster machten sie nervös. Seit der Explosion vor über einem Jahr, die ein Loch in die Kuppel gerissen hatte, war DeRicci Fenstern gegenüber misstrauisch. Sie kamen ihr künstlich vor, unnötig und risikobehaftet. Sie fürchtete, sie könnten zersplittern, Verbrecher und Terroristen könnten durch sie eindringen, Luft aus ihnen entweichen.
Sie fürchtete alles Mögliche.
Sie seufzte. Von hier aus konnte sie den Abschnitt der Kuppel sehen, in dem sich die Explosion ereignet hatte. In dem gewölbten Teil der Kuppel, die für die Umweltbedingungen und Lichtverhältnisse in Armstrong unabdingbar war, konnte DeRicci auf der Innenseite des Rahmens immer noch die Risse erkennen.
Kein Grund zur Sorge, hatten die Ingenieure gesagt. Die Kuppel selbst hatte vier Ebenen redundanter Kuppelelemente. Die Risse befanden sich nur in der unteren Schicht, von der aus die Stadt keinesfalls den lebensfeindlichen Umweltbedingungen des Mondes ausgesetzt werden konnte.
Kein Grund zur Sorge.
Aber DeRicci sorgte sich dennoch. Das war ihr Job.
Wieder seufzte sie und betrachtete die im Kuppeltageslicht noch immer sichtbaren Brandspuren. Das Feuer hatte nach der Explosion diesen Teil der Kuppel vollständig verwüstet, dieSpuren des Brandes waren allerdings nicht so wichtig wie die Risse in der Hülle. Und da bisher niemand die Risse repariert hatte, hatte sich auch niemand Gedanken über die Brandspuren gemacht, die sich schwarz von dem künstlichen Lichtschein abhoben, der den Mondhimmel hinter sich verbarg.
DeRicci verschränkte die Hände fest hinter dem Rücken. Sie hatte dieses Büro wegen eben dieser Aussicht ausgewählt. Sie wollte eine Erinnerung an den Schrecken, der über die Kuppel kommen konnte, immer und alle Zeit vor Augen haben.
Sie wollte sich selbst jeden Tag daran erinnern, was passieren konnte, wenn sie versagte.
DeRicci wandte sich vom Fenster ab und ging zu ihrem Schreibtisch. Das Büro war von einem äußerst fantasiebegabten Architekten entworfen worden, der versuchte, sich auch außerhalb der Mondkuppeln einen Namen
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