Miles Flint 06 - Kallisto
einem Multikulturellen Tribunal brächten. Dann bekäme sie wenigstens Kontakt zu Menschen, und vielleicht gäbe es wieder ein bisschen Hoffnung für sie.
Aber darauf zu vertrauen, hieß, Emmelines Leben aufs Spiel zu setzen. Tatsächlich riskierte sie dabei alles, was sie in den letzten vierzehn Jahren aufgebaut hatte. Womöglich riskierte sie sogar die Klone – normale Mädchen, die irgendwo in der Allianz ein normales Leben führten und nicht wussten, dass sie Klone waren.
Mädchen wie Talia.
Ihr Herz tat einen Sprung. Auf so etwas hatte sie Talia nicht vorbereitet. Rhonda hatte geglaubt, die Sache wäre vorbei. Sie hatte geglaubt, sie wären in Sicherheit.
Alles, was sie ihrer Tochter – der Tochter, die seit dreizehn Jahren bei ihr lebte – gesagt hatte, war, dass sie Kontakt zu einem Anwalt aus Armstrong aufnehmen sollte. Konnte ein Kind überhaupt einen systemübergreifenden Kontakt herstellen?
Sie wusste es nicht.
Sie strich sich mit der Hand über die Stirn. Sosehr sie auch fror, ihre Haut war schweißnass. Sie musste sich konzentrieren.
Sie konnte versuchen, die Gyonnese zu überwältigen, sehen, ob sie herausfinden konnte, wie ihre Links funktionierten, und vielleicht Kontakt zu einem Schiff herstellen. Alles, was sie tun musste, war, sie zu berühren, um ihren Ekel hervorzubringen. Damit würde sie sie ein paar Schritte weit auf Abstand halten können.
Aber sie würden sich schnell erholen. Auch so etwas hatte sie schon gesehen. Trotz all ihres Widerwillens würden sie angreifen, und wenn sie sich um einen menschlichen Körper schlangen, würden sie ihm den Brustkorb zerquetschen.
Sie riskierte mindestens schwere Verletzungen, möglicherweise auch den Tod.
Und selbst wenn sie das täte, was würde es bringen? Sie selbst konnte keinen Kontakt zu einem Schiff herstellen, nicht über diese Anlage. Sie musste sie dazu bringen, diesen Kontakt herzustellen, und sie wusste, das konnte sie nicht.
Würde sie so etwas versuchen und versagen, so würde sie nicht nur Talia und Emmeline in Gefahr bringen, sondern all ihre Töchter.
Das war ein Risiko, das sie nicht auf sich nehmen würde.
Sie stand allein gegen mehrere Gyonnese, und sie war von jeher nicht sonderlich stark gewesen. Der Beschaffer hatte es nicht schwer gehabt, sie zu überwältigen, und da war sie bewaffnet gewesen.
Es gab nur einen Weg aus dieser Station heraus.
Sie nahm die Tabletten aus der Tasche. Eine Tablette proTag würde reichen, die verbliebenen Antitoxine aus ihrem Körper zu leiten. Zwei Tabletten, gleichzeitig eingenommen, würden sie ernsthaft krank machen. Wie so viele pharmazeutische Stoffe war auch Cydoleen in hohen Dosen ein tödliches Gift.
»Gott«, flüsterte sie, und sie wusste nicht einmal, ob sie das Wort im Gebet sprach oder ob es eher ein Kommentar war.
Ginge es nur um sie allein, so hätte sie den Kampf gegen die Gyonnese aufgenommen. Ihr eigenes Leben konnte sie aufs Spiel setzen, aber konnte sie auch Emmelines Leben wieder in Gefahr bringen? Oder das der anderen fünf?
Oder Talias?
Falls sie Talia nicht bereits verloren hatte.
Rhondas Augen füllten sich mit Tränen und sie blinzelte, um sie zu vertreiben. Die Gyonnese hatten aufgehört zu diskutieren, und der Anführer erklärte den anderen die Technik der Informationsextraktion.
Ihr blieb nicht mehr viel Zeit.
Sie schloss das Wandbedienfeld, deckte den einseitigen Spiegel ab und deaktivierte die Konsole.
Dann kletterte sie zurück in die Kiste.
Sie wünschte, sie hätte wenigstens noch einmal Gelegenheit, Talia zu sehen. Eine Gelegenheit, ihr alles zu erklären und Abbitte zu leisten.
Aber ihre Tochter war gewieft und einfallsreich.
Sie würde überleben.
Alle ihre Töchter würden überleben. Sie mussten einfach.
Rhonda schüttete die Tabletten in ihren Mund und zwang sich zu schlucken. Sie würgte die trockenen Tabletten hinunter, die an ihrem Gaumen zu kleben schienen.
Und in Gedanken sagte sie sich, dass das Unbehagen nicht lange anhalten würde.
Sie musste nur an Talia denken.
An Emmeline.
An die Jahre, die sie vor sich hatten. Die Kinder, die sie bekommen würden. Das Leben, das sie haben würden, weil sie in diese schreckliche Kiste zurückgekrabbelt war.
Und sich geweigert hatte zu kapitulieren.
53
D ie Leiterin der Hafensicherheit benötigte nur fünfundvierzig Minuten, um das Schiff des Beschaffers zu finden. Es hatte in einem der extravagantesten Raumhäfen diesseits des Jupiters angelegt.
Auf ihre Anfrage hin
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