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Militärmusik - Roman

Militärmusik - Roman

Titel: Militärmusik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stollfuß
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einer großen Ledertasche die neuen Schallplatten, die Stein regelmäßig aus Schweden zugeschickt bekam. Ich stellte mir vor, das wäre mein Wagen und ich hätte dem Polizisten in die Hand gebissen. Ich konnte sogar den Geschmack des Fingers im Mund spüren. Diese Show machte mir großen Spaß. Innerlich bereitete ich mich darauf vor, Autogramme zu verteilen. Stein, der diese Szenen durchs Fenster beobachtete, hätte mich leicht wegen meines kindischen Verhaltens auslachen können, was ganz seiner Art entsprochen hätte, er tat es aber nicht.
    Manchmal fuhr Stein mit mir und seiner schwedischen Freundin zum Restaurant »Schauspieler« in die Gorki-Straße. Wir tranken dort moldawischen Fünf-Sterne-Cognac »Der weiße Storch« für drei Rubel das Glas. In angetrunkenem Zustand versuchte Stein regelmäßig, mit den Gästen eine Schlägerei anzufangen, denn aus für mich unerfindlichen Gründen konnte er keine Schauspieler leiden. Vielleicht lag es daran, dass seine Eltern Schauspieler waren. Seine Freundin und ich zerrten ihn dann jedes Mal aus dem Lokal und in sein Auto. »Ihr seid keine Menschen«, rief Stein den Schauspielern nach, »ihr seid weiße Strolche! Kleine doofe Strolche!«
    Langsam gewöhnte ich mich an meinen neuen Praktikumsplatz, und schon bald gefiel es mir im Ballettraum, wo ich die neuen Schallplatten auflegte, besser als im großen Saal des Theaters, wo ich die Aschenbecher leeren musste. Stein hatte seinen persönlichen KGB-Aufseher, der ihn ständig kontrollieren musste. Nach jedem Gespräch mit ihm schrieb Stein ein Gedicht, in dem er den Inhalt ihrer Unterhaltung in Reimen wiedergab. Mit solch einem Gedicht fing normalerweise der Aerobic-Unterricht an. Einmal kam der Aufseher in den Ballettsaal. Er trug einen grauen Anzug, hatte einen Offiziers-Haarschnitt und eine Boxernase. Stein umarmte ihn wie seinen besten Freund. »Mein Mann beim KGB«, stellte er uns den Kerl vor. Der Mann saß eine Weile schweigend bei uns im Raum. Als Stein für einen Moment rausging, kam er zu mir:
    »Pass auf, Junge, dein Freund ist ein gefährlicher Mensch. Ich kenne ihn schon lange. Jedes Mal, wenn er Scheiße baut, gehen die anderen dabei drauf. Stein selbst kommt aus jeder Geschichte heil raus. Er hat einen Schutzengel – ganz oben.«
    Der KGB-Mann zeigte mit dem Finger zur Stuckdecke.
    »Also, wenn du etwas in der Richtung weißt, hier ist meine Nummer. Wir bleiben in Verbindung.«
    Er gab mir eine Karte mit seiner Telefonnummer drauf.
    »Leck mich, du Spionagearsch!«, dachte ich bei mir und steckte seine Karte ein.
    Es kam dann aber wirklich so, wie er es vorausgesehen hatte. Nach einer Weile fand im großen Saal des Majakowski-Theater die Premiere des zu Ende gequälten Politdramas »In Santiago regnet es« statt. Die ersten fünf Reihen waren von Beamten des Kulturministeriums besetzt, dazu war die Parteizelle des Theaterverbandes vollzählig erschienen sowie das übliche Premierenpublikum. Stein und ich hingen wie zwei ausgestoßene Engel auf der obersten Lichtbrücke zwischen zwei Scheinwerfern. Wider Erwarten war diese schwierige Inszenierung unserem Chef doch gelungen. Die politischen Ereignisse in Chile hatte er nur benutzt, um die Charaktere in einer extremen Situation aufeinander prallen zu lassen. Das gab viel Stoff zum Spielen. Und die Schauspieler waren nicht umsonst im Volk so beliebt, sie waren gut. Aus einem Politdrama wurde ein menschliches Drama, und den Zuschauern war es egal, ob sich die Geschichte in Chile oder sonst wo abspielte. Im Saal war es still, alle waren mitgerissen. Nur Stein gefiel die Vorstellung offenbar nicht. Er war an dem Abend besonders schlecht gelaunt und beschimpfte ununterbrochen das Publikum.
    »Siehst du diese Strolche da unten? Wie hypnotisiert sitzen sie da. Alles werden sie fressen, an jedes Märchen glauben sie, Hauptsache, ihr Held hampelt auf der Bühne herum. Ich werde ihnen die Illusionen nehmen!«
    Stein wurde plötzlich laut.
    »Nicht nur in Santiago, auch bei uns regnet es ab und zu«, schrie er, ließ seine Hosen runter und pinkelte von der Lichtbrücke in den Zuschauerraum.
    Ich war schockiert, wusste aber nicht, was ich tun sollte. Die Leute im Saal, die von Steins Strahl erwischt wurden, klappten ihre Programmhefte zu Regenschirmen auf, sprangen aus ihren Sesseln und schlichen zum Notausgang, während die Vorstellung weiterlief.
    »Hör endlich auf!«, sagte ich zu Stein.
    Er reagierte nicht. Es wurde immer peinlicher. Er pinkelte und pinkelte,

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