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Militärmusik - Roman

Militärmusik - Roman

Titel: Militärmusik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stollfuß
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Flasche schenkte ich der Schaffnerin. Sie war glücklich, ich war glücklich, es war Sommer und allen ging es gut. In der Schlange zum Klo lernte ich zwei entlassene Sträflinge kennen. Beide hatten eine Stange Geld in der Hosentasche, und beide waren aus Moskau weggefegt worden – wegen der Olympiade und so. Wir gingen zusammen essen und spielten Karten, die ganze Nacht durch. Am Ende hatte ich etwas Geld. Abends war ich in Riga. Hier lief alles normal. Keine Spur von den Olympischen Spielen. Ich besuchte meinen alten Freund George, der Reportagen für »Voice of America« machte und sich auch sonst nichts entgehen ließ.
    Unterwegs machte ich eine interessante Beobachtung: In Riga wurden in jedem Lebensmittelladen alle möglichen Lebensmittel verkauft. Bei uns in Moskau nur Brot und Tomatensaft in Dreiliterbüchsen. Ich kaufte etwas Wurst und Marmelade, nicht aus Hunger, sondern aus Spaß. Die komischen Rigabewohner wussten ihr Glück nicht zu schätzen. Bei George gab es nicht einmal einen Kühlschrank. Von den Lebensmitteln hatte er nur vom Hörensagen erfahren. »The Voice of America« zahlte sehr unregelmäßig. Wir aßen zusammen Wurst und Marmelade, dabei erzählte ich ihm die Geschichte von der russischen Pepsi-Cola, und er glaubte mir natürlich nicht. Schade, dass ich die Flasche verschenkt hatte.
    George hatte einen neuen Job: Er sollte als Begleitposten mit dem Rinderzug von Lettland nach Usbekistan fahren. Drei Wochen hin, einen Tag zurück – fünfhundert Rubel bar auf die Hand, inklusive Rückflugticket. Eigentlich gehörten immer zwei Leute zu so einem Begleitposten. Ob ich nicht mitfahren wollte? Natürlich wollte ich mitfahren. Unsere Aufgabe bestand darin, 46 Rinder lebend nach Samarkand zu bringen. In Büchsen wäre es bestimmt leichter gewesen. »Was haben die Viecher in Mittelasien überhaupt zu suchen?«, fragte ich George. Es ging wahrscheinlich um die Verbesserung der Rasse dort. Er wusste es aber auch nicht so genau. Wir hatten beide keine Ahnung von Zootechnik. Ich studierte Dramaturgie, George Festigkeitslehre.
    Am nächsten Tag waren wir am Güterbahnhof. Die Tiere waren bereits verladen. Es gab ein langes Hin und Her mit den Papieren, aber endlich hatten wir alles geregelt. Der Transport bestand aus drei Waggons für das Vieh und einem vierten für das Heu zum Füttern. Was wir selbst essen sollten, stand noch nicht fest. Der Güterzug war riesig lang und mit allem möglichen Zeug beladen. Vor uns eine offene Plattform mit Langholz, hinter uns eine offene Plattform mit einer Unzahl von Blechkannen. Sie wurden ebenfalls von jemandem begleitet, der sogar eine Schirmmütze und eine Dienstwaffe trug. Der Mann hieß Aram und schien glücklicherweise ein lustiger Kerl zu sein. Immerhin mussten wir die nächsten drei Wochen in seiner Gesellschaft verbringen.
    Ich und George beschlossen, die erste Nacht bei unseren Tieren zu bleiben, als Training. Die Geschichte gefiel mir immer weniger. So schnell wie sie schissen, musste man mindestens zweimal am Tag alle drei Waggons sauber machen. Dazu noch die Pflege, Tränke und Fütterung. Verzweifelt saß ich allein am nächtlichen Güterbahnhof. Aram schlief und George war zum Spätverkauf gegangen. Mein Gott! Worauf hatte ich mich da eingelassen.
    In der Nacht kam George zurück und erzählte: Er hätte auch bemerkt, dass wir für diese Reise unbedingt mehr Arbeitskräfte bräuchten. Am Bahnhof in einer Schlange vor dem Klo sei er am Eingang stehen geblieben, um eine Dame vorbeizulassen. Mit dem erfahrenen Auge des Weltmanns hatte George sofort am Äußeren der Frau erkannt, dass sie zu den niedrigsten Gesellschaftskreisen gehörte, zu den Ausgestoßenen, Alkoholikern und Pennern. Die ärmliche Kleidung und das waschblaue Gesicht der Dame hatten ihn sofort dazu bewegt, sie auf ein alkoholisches Erfrischungsgetränk einzuladen. Sie hieß Daima, und trotz ihrer unglücklichen Lage machte sie einen guten Eindruck auf ihn. Lebhaft und freundlich strahlten ihre grauen Augen Reste der früheren Schönheit aus. Und das Wichtigste, sie war vom Dorf und hatte Ahnung von Landwirtschaft. Mein schlauer Freund hatte sie überredet, mitzufahren. Das war nicht schwer gewesen. In Riga hielt Daima nichts. Sie hatte weder Familie noch Arbeit oder sonstige gesellschaftliche Verpflichtungen. Außerdem hatte sie noch nie in ihrem Leben Lettland verlassen. »Sie packt jetzt ihre Sachen und ist schnell bei uns«, versprach George.
    Bis zum letzten Augenblick hatte ich

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