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Militärmusik - Roman

Militärmusik - Roman

Titel: Militärmusik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stollfuß
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Reden nie in die Augen. Die Zieselmäuse ließen sich hier nicht fangen, und das Wasser ist knapp.
    Irgendwo mitten in Kopet-Dagh, zwischen Afghanistan und dem Iran, blieben wir stehen. Selbst die Sonne sah dort anders aus, viel zu groß und viel zu rot. O du meine Heimat, unendliches Land! Noch 500 Kilometer bis Samarkand, unserer Endstation. George fragte den Lokomotivführer, aber nicht einmal der wusste, wann wir weiterfahren würden. Irgendetwas Wichtiges fehlte dem Zug. Hoffentlich nicht die Pferde.
    Abends kamen die Einheimischen und brachten uns Brote. Wir machten ein großes Lagerfeuer in der Wüste. Sie wollten irgendwas von uns, aber nicht die Rinder, das stand bald fest. Schade, dass sie unsere Sprache nicht verstanden. Langsam dachte ich schon, wir hätten das falsche Gleis erwischt und wären in Afghanistan gelandet. Alles verwischte sich in dieser Wüste, auch die Grenze. Heureka! Sie wollten uns Daima abkaufen. Ein alter Mann erzählte uns bildhübsche Geschichten wie aus Tausendundeiner Nacht: Er hätte drei Söhne, und diese drei Söhne wollten unsere Daima haben. Dafür boten sie uns an... In Georges Augen sah ich, dass er alles und jeden, sich selbst eingeschlossen, verkaufen würde, wenn man ihm dafür einen anständigen Preis machte.
    Aber dann konnte unser Zug endlich weiterfahren, und wir verließen Afghanistan, sodass die drei Söhne weiter ohne Daima auskommen mussten. Am nächsten Morgen würden wir Samarkand erreichen und in zwei Tagen wieder zu Hause sein, im mitteleuropäischen Raum. Aber George konnte nicht einschlafen. Er träumte von einem lettischen Frauentransport nach Mittelasien, zur Verbesserung der Rasse dort. Einmal hin und zurück, ausgesorgt für den Rest des Lebens an jedem beliebigen Ort unseres unendlichen Landes. Wir tranken ein letztes Mal aus Arams Tasse, es war eine lange Reise gewesen: Zwei 50-Liter-Kannen waren inzwischen leer.
    Am Morgen bei der Rinderübergabe stand ich plötzlich allein da. George und Daima hatten sich zum Einkaufen nach Samarkand auf den Basar verdrückt. Die Rinder konnten nicht mehr richtig laufen, weil sie zu lange unterwegs gewesen waren, deswegen schubste ich sie zusammen mit zwei Usbeken aus den Waggons, eins nach dem anderen. Die Usbeken schimpften und wollten nichts unterschreiben. Doch später kam endlich die Frau mit unseren Namen auf einer Liste und unserem Geld. Alles lief wieder nach Plan. Alle Rinder lebten, und kerngesund hatten sie auch früher nicht ausgesehen.
    Die Hitze hatte schon nachgelassen, als George endlich vom Basar zurückkam. Allein. Aufgeregt und etwas angetrunken erzählte er mir folgende Geschichte:
    In der Stadt war es sehr heiß gewesen, und sie waren in eine Teestube gegangen. Beim Teetrinken lernte George den Besitzer kennen. Dieser erzählte ihm von einem Bruder, einem wohlhabenden Zahntechniker, der ein großes Haus mit Garten, zwei Frauen und fünf Kinder besaß. Die eine Frau war fürs Haus zuständig, die andere fürs Bett, und für den Garten suchte er noch jemanden. Der Teestubenbesitzer meinte, Georges Begleiterin wäre ideal für den Bruder, und er würde ihm sofort 500 Rubel zahlen, wenn er sie hier ließe. Dabei brauchte George nichts tun, nur einfach zu verschwinden, wenn Daima das nächste Mal aufs Klo ginge...
    George drückte mir zweihundert Rubel in die Hand.
    »Dein Anteil«, meinte er.
    Natürlich beschimpfte ich ihn, das war eine echte Sauerei, denn wer wusste schon, was sie mit der Frau anstellen würden. Aber ich nahm das Geld. Sie war ja nicht meine Frau. Am nächsten Tag landete ich spätabends in Moskau, braun gebrannt und die Taschen voller Geld. Die Olympischen Spiele waren zu Ende, und das Leben nahm wieder seinen gewohnten Gang. George flog einen Tag später als ich nach Riga zurück, mit mehreren orientalischen Mänteln und Kupferschmuck im Gepäck. Zwei Jahre sah und hörte ich nichts von ihm.
    Dann, eines Tages, besuchte George Moskau, und wir trafen uns bei »Jaltarang«, dem damals einzigen Inder, wo er mir die Geschichte zu Ende erzählte. Eine Zeit lang hatte er schlecht schlafen können wegen Daima. Gewissensbisse verursachen nun einmal Schlafstörungen. Im Herbst war er wieder in Samarkand gewesen und ihr zufällig auf dem Markt begegnet. Er hätte Daima gar nicht erkannt, wenn sie ihm nicht zugerufen hätte: »George, mein lieber George!« Sie umarmte ihn und küsste ihm beide Wangen. Sie lachte und strahlte. Ihre Arme waren mit goldenen Armbändern geschmückt, und sie

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