Militärmusik - Roman
war gegründet worden, um das allgemeine Bildungsniveau der Bevölkerung noch weiter zu heben. Sie verfügte über Hunderte von Lektoren, die an allen möglichen Orten das Publikum in einer allgemein verständlichen Sprache über die spannendsten Probleme der Wissenschaft aufklärten. Das gefragteste Thema, das alle brennend interessierte, war zu diesem Zeitpunkt in der Sowjetunion: »Gibt es Leben auf dem Mars?« Erstaunlich, aber wahr – wie eine wissenschaftlich-populistische Fernsehsendung damals hieß: Der sowjetische Bürger interessierte sich viel mehr für das Leben auf dem Mars als für sein eigenes auf der Erde. Hier unten war schon alles mehr oder weniger klar. Aber mit dem Mars verband man noch Hoffnung.
Die zweite Frage, die alle interessierte, lautete: »Gibt es ein Leben nach dem Tod?« Das Volk sehnte sich nach einem anderen Leben, jenseits der Realität. »Gibt es ein Leben nach dem Sozialismus?«, wäre die richtige Fragestellung gewesen, aber so etwas traute sich noch keiner. Die Gesellschaft »Das Wissen« hatte alle Informationen, die vom Mars zu uns kamen, monopolisiert und verriet sie nur ansatzweise in ihrem gleichnamigen Magazin, das jeden Monat erschien. In dem Magazin versuchten die Autoren immer wieder, die brennenden Themen mit der aktuellen Problematik des Landes, also mit dem Saufen, zu verknüpfen. So bestellte denn auch die Betriebsdirektion den Lektor in die Parkanlage, um einen Vortrag über »Die Schäden des Alkohols, oder: Gibt es ein Leben auf dem Mars?« zu halten.
Zu dem von mir vorher angekündigten Termin war die Estrademuschel relativ voll. Zum Bedauern des Lektors waren die meisten Zuhörer aber alte Frauen, die auch ohne seine Lektion wussten, dass Saufen schädlich ist. Der Mann war aber ein Profi und ließ sich durch nichts verunsichern. Laut seinen Informationen wurden die Kanäle auf dem Mars schon lange von anderen Zivilisationen benutzt. Diese Zivilisationen würden uns bereits seit Tausenden von Jahren beobachten, aber jeden direkten Kontakt vermeiden, weil sie viel klüger und gebildeter wären als wir und also das Saufen verabscheuten. Sie hätten uns schon längst ihre Technologien anvertraut, uns glücklich und unsterblich gemacht, wenn wir nur mit dem Saufen aufhören würden. Darauf warteten die Außerirdischen bis jetzt leider vergeblich. Der Lektor zeigte auf einen Busch, unter dem drei Männer mit einigen Flaschen Portwein saßen.
»Wegen solcher Typen halten uns die Außerirdischen noch immer nicht für reif für einen Kontakt.«
»Wie blöd«, regten sich die alten Omas auf der Bank auf.
»Viktor, schmeiß sofort die Flasche weg, wir wollen unsterblich werden«, rief eine Oma dem Buschmann zu, und alle lachten.
Viktor, der Mann mit der Flasche Portwein in der Hand, traute dem Redner nicht. Verzweifelt blickte er in seine Richtung, mal guckte er die Flasche an, dann wieder schaute er in den Himmel. Er fühlte sich einigermaßen verarscht, konnte es aber nicht richtig äußern.
Der Lektor fuhr weiter fort: Der Tod durch Alkohol sei der schrecklichste von allen, meinte er. Er hätte selbst einen Mann im Krankenhaus gesehen, der durch aktives Trinken eine Leberzirrhose bekommen hätte. Sein Blut bestünde mittlerweile zu fünfzig Prozent aus Spiritus. Alle lebenswichtigen Organe des Mannes hätten sich bereits im Sprit aufgelöst – Stück für Stück würde er jetzt seine Leber und sein Hirn herausspucken, bevor er qualvoll sterben würde. Das Schlimmste sei aber: Die Menschen, die an der Flasche hingen, würden nicht nur ihre eigene Gesundheit ruinieren, sondern auch die Hoffnung anderer Menschen töten, irgendwann einmal ein besseres Leben zu haben und vielleicht auch noch eines Tages eine andere fremde Zivilisation kennen zu lernen. So meinte jedenfalls der Lektor.
Der Mann unter dem Busch stand plötzlich auf. An seiner Haltung konnte man erkennen, dass er gerade eine wichtige Entscheidung getroffen hatte. Er holte zum Wurf aus.
»Verpiss dich mit deiner fremden Zivilisation«, schrie er.
Die leere Portweinflasche der Marke »Roter Kaukasus« drehte sich in der Luft und zerschellte am Rednerpult.
Im Laufe des Monats hatte sich das kulturelle Programm im Park langsam doch durchgesetzt. Jeden Dienstag und Freitag versammelten sich die Stammgäste vor der Theatermuschel – die Jugendbande, die Omas und die Säufer –, um sich eine neue Lektion reinzuziehen. Die Gesellschaft »Das Wissen« brachte sie um einiges weiter. Auch mich. Man teilte
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