Militärmusik - Roman
hatte einen Hühnerhals, war alt, hässlich und bucklig. In der Hand hielt er etwas, was einer zusammengerollten Zeitung ähnlich sah. Zum Fliegentotschlagen, vermutete ich.
Und weiter ging es mit anderen Denkmälern Moskaus. Es gab immer zwei Bildhauer – einen mit russischem Namen und einem schönen Entwurf und einen anderen mit einem fremden Namen und einem hässlichen Entwurf. Viele dieser Statuen hatte ich bereits mehrmals in der Stadt gesehen, aber nie war mir aufgefallen, wie hässlich sie waren. Die Fotografen der Volksinitiative waren sehr aufmerksam. Sie hatten für alle ihre Fotos den richtigen Blickwinkel gefunden und so mit ihren Bildern eine Verschwörung aufgedeckt: Das Puschkin-Denkmal stand beispielsweise mit dem Rücken zum Filmtheater »Russland«. Das Mausoleum erinnerte so schräg von unten geknipst an eine Vagina. Der Fernsehturm war eindeutig ein Penis, der aus dem Kopf von Jurij Dolgorukij, dem Gründer der Stadt Moskau, herausragte.
Am Ende zeigte der Rotgesichtige ein Dia mit der Karte der Moskauer Metro. Das Streckennetz hatte in seiner Gesamtheit eindeutig das Aussehen eines Davidsterns. Und alle größeren Stationen befanden sich unter wichtigen Regierungsgebäuden. Der Rotgesichtige meinte dazu, die Moskauer Metro wäre nichts anderes als ein Plan jüdischer Architekten, die Hauptstadt in die Luft zu jagen. Alles wäre längst untertunnelt. Die Frau, die unbedingt sterben wollte, las von ihrem Zettel weitere Namen von Leuten vor, die für dies alles Verantwortung trugen. Und wieder schrie jemand vom Balkon, die da unten wären alle Nazis. Der Rotgesichtige regte sich mächtig auf.
Nach der zweiten Veranstaltung hatte sich jemand im Bezirksparteikomitee die Bänder angehört und alle weiteren Veranstaltungen kurzerhand verboten. Die lustigen Kerle mit den Kapuzen und »Gedächtnis«-Pullovern verschwanden genauso rasch aus dem Haus, wie sie dort aufgekreuzt waren. Es wurde still im Park, alle kulturellen Tätigkeiten wurden Ende November vorläufig eingestellt – bis zum nächsten Sommer. Ich machte mich auf die Suche nach einem neuen Job.
Die vier Jahre des Studiums an der Theaterschule waren bald um. Ebenso wie die anderen Studenten konnte ich jede außeruniversitäre Beschäftigung, wie beispielsweise meine Arbeit im Park, als eine Art Praktikum beim Lektorat verwenden. Dafür hatten sie extra Formulare: Der Studierende versichert darin, dass seine berufliche Tätigkeit keine Auswirkungen auf seine Schulleistungen haben wird. Nach Unterschreiben dieses Dokuments war man frei und konnte tun und lassen, was man wollte. Jeder suchte sich einen Job, der am ehesten seinen Interessen entsprach. Ich konnte es nie länger als zwei Monate in einem und demselben Theater aushalten. Nachdem ich mich mit dem Spielplan des Hauses vertraut gemacht hatte, verspürte ich sofort große Lust abzuhauen. Außerdem war ich ständig kritisch gestimmt und fand schon damals alles Scheiße. So einen »Spezialisten« wollten die Theaterhäuser meist nicht haben.
Große und kleine Helden
1983 lernte ich die Moskauer Rockszene kennen, die bei weitem interessanteste Szene von allen, die Moskau damals zu bieten hatte. Meine Freunde und ich suchten nach unseren eigenen Helden, und wir fanden sie auf der Straße: Diese Menschen waren älter als wir, benahmen sich oft wie Kinder und spielten alle Gitarre. Sie behaupteten von sich: »Wir sind die Kinder der englischen Kultur, nicht der russischen!« Und außerdem sagten sie: »Hüte dich vor dem eigenen Land und glaube nie, was dir hier erzählt wird.« Ach, die Moskauer Rockszene – eine unbeschreiblich schöne Zeit. Die Helden der Achtziger brachen auf und fegten die Strohhelden der Sowjetunion einfach weg. Ich hatte als Kind eine große Enttäuschung erlebt, was das Heldentum betrifft. Man könnte sogar sagen, dieses Thema ist für mich mit einem Trauma verbunden. Das kam so:
Der erste Aufsatz, den wir in der Schule schreiben mussten, hieß: »Mein großes Vorbild«. Für die Jungs gab es reichlich Auswahl: Da war der Kriegsheld General Karbischew, den die Faschisten eingefroren hatten. Dann gab es Alexander Matrosov, der sich mit seinem eigenen Körper auf feindliche Maschinengewehre gestürzt hatte. Und dann der Mann, der die Rote Fahne auf dem Reichstag gehisst hatte. Kosmonauten konnte man auch nehmen, am besten Gagarin oder Grechko. Für die Mädels gab es die Frauen der Dekabristen, dann Zoe Kosmodemjanskaja, die große Partisanin des Zweiten
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