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Militärmusik - Roman

Militärmusik - Roman

Titel: Militärmusik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stollfuß
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den Veranstaltungen dabei sein, um Ärger aller Art zu vermeiden und die Entertainer anschließend auszuzahlen. Ich bekam ein Megafon, eine Liste mit den Namen der Mitwirkenden und jede Woche 75 Rubel auf die Hand, wovon ein Drittel meine eigene Gage war.
    Die erste Nummer, die uns die Philharmonie anbot, bestand aus fünfzigjährigen Zwillingen, die Klarinette spielten. Unter anderen Umständen wäre es vielleicht eine nette Unterhaltungs-Show geworden, aber nicht in unserem Park. Die Zwillinge kamen mit dem Auto an und wirkten schon ziemlich angetrunken. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Arbeiterklasse als Publikum bereits unsere Muschel im Park entdeckt und sie zu ihrer Stammkneipe auserkoren. Als die Zwillinge ihre Klarinetten auspackten, machte es sich gerade die Rugby-Mannschaft des Betriebes auf den Bänken gemütlich. Sie feierten ihren Sieg über eine andere Rugby-Mannschaft eines anderen Betriebes. Die Zwillinge fragten mich, ob es in der Nähe ein Bierzelt gäbe und ob ich ihre Gage dabeihätte. Nachdem ich das bejaht hatte, nahmen sie ihre Instrumente und bliesen kräftig rein. Bereits nach der ersten Serenade meuterte die halbe Mannschaft und drohte mit Prügeln, sollte noch ein einziger Pups aus den Röhren kommen. Die Kunst traf auf das Volk und ging gnadenlos unter. Um weitere Konflikte zu vermeiden, ließ ich die Musiker ihre Gagenquittung unterschreiben und ging mit ihnen zusammen ein Bierchen trinken. Die beiden erzählten mir, dass sie ihr Geld zumeist auf Begräbnissen und Hochzeiten verdienten und dabei skrupellos von der Philharmonie ausgebeutet würden. Sie mussten nämlich die Hälfte der Gage als Vermittlungsgebühr abgeben, obwohl sie sich die Aufträge selbst verschafften.
    Beim nächsten Mal trat eine Rezitatorin auf, eine Frau mittleren Alters, die meiner Klassenlehrerin aus der Schule merkwürdig ähnlich sah. Sie trug Gedichte vor, ein sehr erlesenes Programm, alles aus dem silbernen Zeitalter der russischen Poesie. Im Gegensatz zu den Kollegen mit der Klarinette nahm sie ihre Arbeit absolut ernst. Sie hatte ein Kostüm und einen Schminkkasten dabei und fragte mich nach einer Umkleidekabine. Auf mich machte sie einen rührenden Eindruck. Die Rugby-Mannschaft vom Tag zuvor hatte die Bänke noch immer nicht verlassen. Ich befürchtete, dass es zu Mord und Totschlag kommen könnte, wenn die pure Kunst zum zweiten Mal auf das Volk stürzen würde. Wie sollte ich diese Frau allein verteidigen? Sie war wild entschlossen, ihr gesamtes Repertoire durchzuziehen, und hatte sich bereits mangels Umkleidekabinen hinter einem Busch umgezogen. Sie trat in einem schönen Abendkleid mit vielen blitzenden Sternchen hervor.
    »Ich bin bereit«, sagte sie, als ob sie mich beruhigen wollte. »Wo ist nun mein Publikum?«
    Schweigend zeigte ich auf die Rugby-Mannschaft, die sich bereits im Delirium befand, auf drei Omas, die geduldig auf die leeren Flaschen warteten, und auf all die anderen, die sich vermutlich hinter den Büschen befanden. Überall konnte man in unserem Park Zuschauer entdecken. Die Frau sah sich um, nahm mir das Megafon aus der Hand, stellte sich in die Mitte des Fußwegs und fing an zu lesen:
Ich danke Ihnen – Herz und Hand! – dafür,
    Dass Sie mich unwissend in Ihnen tragen:
    Für meine nächtlich stille Tür,
    Für seltene Treffen in verschiedenen Parkanlagen
    Für uns're Nichtspaziergänge im Mondrevier,
    Für uns're Köpfe, nicht von Sonne beschienen,
    Dafür, dass Sie so geil sind nicht nach mir,
    Dafür, dass ich so geil bin, nicht nach Ihnen ...
    Die hohe Kunst schien zu wirken. Auf einmal wurde es dunkel, der Himmel bedeckte sich mit Wolken, die ersten Tropfen klatschten auf die Blätter. Immer mehr Leute stürzten aus den Büschen raus auf den Fußweg, die Mitglieder der Rugby-Mannschaft wachten auf, übergaben ihre Flaschen freiwillig den Omas und gingen rasch nach Hause zu Frau und Kind. Der Regen fiel mit Donner und Blitz auf die Erde und vertrieb alle Menschen aus dem Park. Nur die Schauspielerin im Abendkleid mit Megafon in der Hand und ich blieben im Regen stehen. Sie schien bei der Veranstaltung eine Menge Spaß gehabt zu haben, und ich musste sie noch auszahlen.
    Die Betriebsdirektion war mit den Ergebnissen des Kulturprogramms im Park unzufrieden. Anstatt mehr Ordnung zu schaffen, brachten die Gäste nur noch mehr Unruhe in die Anlage. Wir sagten der Philharmonie also ab und wandten uns stattdessen an die wissenschaftliche Gesellschaft »Das Wissen«. Diese Gesellschaft

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