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Militärmusik - Roman

Militärmusik - Roman

Titel: Militärmusik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stollfuß
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stellte sich heraus, dass Mischa von jedem seiner Lieder nur die ersten zwei Zeilen behalten hatte. Das machte uns aber nichts aus, denn alle Versammelten kannten seine Lieder auswendig. So musste er nur den ersten Satz vorgeben, den Rest sang das Publikum.
Ich wache morgens auf,
    Mein Anzug liegt im Sessel nebenan,
    Schau die lustige Tapete an,
    Sag mir...
    Wo verbrachtest du die letzte Nacht?
    Sag mir mit wem?
    Oh!Oh!Oh!Oh!Oh!
    Meine süße N...
    Mischa starb 1991. Ihn mochten alle, und er genoss seinen Ruhm, wie es nur Mark Bolan vor ihm getan hatte. Sogar meine heutige Frau hatte damals eine Romanze mit ihm.
    Den russischen Bowie kannten in St. Petersburg Mitte der siebziger Jahre viele. Einen überregionalen Ruf bekam er jedoch erst nach dem Festival »Junge Künstler im Kampf für den Frieden« in Tiflis 1980. Dort sorgte Boria Bowie mit seiner Band »Aquarium« für Aufregung:
Sie spielen mit uns wie mit Schachfiguren,
    Sie stellen uns auf und schicken uns ins Hirnwäschekombinaaa-aat;
    Ich sage: Nicht mit mir! Ich hinterlasse keine Spuren
    Auf eurem verschissenen Sand.
    Wenn ich mir das jetzt anhöre, muss ich lachen. Boria lebt noch und singt weiter. Manchmal denke ich, es wäre besser, er würde aufhören. Aber damals eröffneten all diese Sänger für mich und Hunderte von anderen neue Horizonte. Und neue Freundschaften entstanden.
    Bei einem Konzert lernte ich Katzman kennen, einen Jungen, der mit vierzehn von zu Hause weggelaufen war. Er sah sehr intelligent aus und kannte sich gut in Rockmusik aus. Zusammen mit verschiedenen Musikern pendelte er durch Moskau und besorgte für die Helden Auftritte. Er nahm mich in seine Firma auf. Der Job gefiel mir. Katzman und ich organisierten innerhalb eines Jahres mehrere Undergroundkonzerte. Das lief folgendermaßen: In einer Wohnung versammelten sich siebzig bis achtzig Fans und ein paar Musiker mit Gitarren und Mundharmonika. Das Ganze war als Geburtstagsfeier getarnt, trotzdem sprangen manchmal einige Gäste aus dem Fenster, wenn die Polizei aufkreuzte. Wir überlebten Dutzende von Razzien und alle Verhaftungen. Daraufhin riss sich die Jugendabteilung des KGB unser Geschäft unter den Nagel. Sie wollten alles im Auge behalten und förderten deswegen die Eröffnung eines legalen Rockclubs. Dort durften wir weitermachen, nur jetzt in einem gesetzlichem Rahmen – mit dem KGB zusammen.
    Die Organe der Staatssicherheit wiesen uns einen Beamten zu, der in seiner Jugend eine Musikausbildung genossen hatte und nun den offiziellen Leiter des Rockclubs spielen sollte. Er bekam von uns den Spitznamen »Dirigent«. Der Mann trug Jeans und zeigte sich auch sonst sehr liberal. »Ich bin sicher, dass wir gut miteinander klarkommen«, sagte er zu uns. Das wollten wir natürlich nicht und gingen auf Tournee. Die Entdeckung neuer Helden und deren Aufbau wurde zu unserem Beruf. Die Nachfrage wurde immer größer, das Konzertleben brummte, und so mussten wir ständig neue Helden ins Spiel bringen. Katzman und ich durchkämmten die Studentenheime auf der Suche nach Leuten, die eine Gitarre einigermaßen gerade halten konnten, und das mit Charisma.
    Unsere letzte Entdeckung war ein Kerl aus Nowosibirsk, den alle Mammut nannten, weil er sehr klein war. Wir stießen in einem Studentenheim des medizinischen Instituts auf ihn. Dort hatte er bei den Mädchen enorme Erfolge eingeheimst. Mammut war ein typischer Held – klein, dünn, mit langen blonden Haaren und einem Erlöser-Bart. Seine Schuhe hatten Kindergröße. Auf seiner 12-Saiten-Gitarre, die fast so groß war wie er selbst, spielte er sehr gut und vor allem laut. Wenn man ihn mit westlichen Musikern vergleicht, war Mammut eine Art russischer Jim Morrison. Mit hoher Stimme sang er selbst gedichtete Lieder: tragische Geschichten von jungen Menschen, die unbedingt sterben wollen oder sterben müssen. Die Mädchen brachen in Tränen aus, als Mammut sein Lieblingslied anstimmte: »Mama, ich habe mir den goldenen Schuss verpasst, gute Nacht, Mama, ich werde nie wieder wach.«
    Mammut gab dreimal wöchentlich ein Konzert im Studentenheim des Medizininstituts. Wir besorgten ihm weitere Auftrittsmöglichkeiten. Mit seinem blonden Haar sah er wie ein kleiner skandalöser Jesus aus, der statt für ein ewiges Leben für einen schnellen Tod plädierte. Dazu kam, dass Mammut als Privatmann alles andere als ein drogensüchtiger Freak war. Im Gegenteil: Er rauchte nicht, trank keinen Alkohol und nahm auch keine Drogen. Katzman erzählte mir,

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